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Wenn man die Vita und die öffentlichen Erscheinungen des Oskar Werner genauer anschaut, dann sieht man deutlich eine Zäsur (von Ende 1960/61 bis Anfang der 80er Jahre): Nach den Triumphen im Burgtheater der Bruch. Filme ja, eigene Versuche mit Produktionen unter Kollegen und sofort öffentliche Schmähungen oft für denselben "Tasso" und "Hamlet", die er vorher bejubelt am Burgtheater gespielt. Danach Rückzug auf den Berg in Liechtenstein, dreissig Jahre schon vor seinem Tode. Dann noch die "Wiener Lieder" als Schwanengesang und noch einmal die alten Gedichte, nun als Moribunder, und der "Homburg" mit dem ganzen Unrat der Zeit-Kritik. Und unrealisierte Pläne: "Faust", "Cäsar", "Mozart", die kaum offen

Oskar Werner nur ein

ausgesprochen wurden und nun verloren sind. Die Wiener Rache. Eine jugendliche Heldenfigur der Nachkriegsjahre, der man nicht verzieh, daß sie in den 8Oer Jahren noch Anspruch erhob, zwar derselbe zu sein wie vor 3O Jahren, nur jetzt als Mann, in der Falle seines eigenen Genies, das nicht altern darf, wo doch die Reife erst den schönsten Wein gewährt:
In seinem Programm auch die alten Gedichte eines Rilke, selbstverfangen in sich, da doch der Turm seiner Isolation eigentlich Erlösung hätte sein können, wie im "Homburg" zu lesen ist für den, der es versteht. Aber der Tod als Einsatz für eine Rolle, ist das erlaubt ?

 

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"Wiener Lieder", wie man sie beim Heurigen hört. Von Oskar Werner drei Jahre vor dem Tod gesungen mit der Stimme, die aus der Gebrechlichkeit des Ichs kommt, fein sich emporringt aus dem Continuo des moribunden Basses, zwei Jahre vor dem "Homburg" Kleists. Zärtlich darin das Wissen um Not und Einsamkeit im großen Bogen des Glücks als "a Vogerl", vom Berg seines Endes in Liechtenstein zurück in die Kindheit der Wiener Vorstadt.  Der Verbannte in der Diaspora der Unbestechlichkeit und Eremitage des Herzens spinnt sich zurück. Das alles ist darin. Wer noch von den Heltaus, Hellers und von den Großen wie Hörbiger oder sogar Moser kann dies in die Waagschale werfen. Wie man hört, haben die Angehörigen in Wien die Lieder aus dem Verkehr gezogen und vernichtet.

 

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Was ist es, das diese Generation der 68er im Kulturbetrieb kennzeichnet, sind es die Verluste, die Provokationen, Zerstörungstriebe, die sogenannte Aufklärung, wie sie sagt ? Ist es Hass, Enge, Rationalität ? Vielleicht ist es der böse Blick, mit der sie die Welt betrachten. Man kann alles auch anders sehen, aber eben auch auf diese Weise, verdächtigend, böse machend. Im Falle Oskar Werners und seiner "Homburg"-Aufführung hiess das in einem Portrait: "...der sich mit den echten Tränen vor dem Kitschaltar seiner Selbstvergötzung prostituiert..., der mit vorgestrigem Pathos von der Würde des Genies brabbelt...", "der Betrunkene", "Alkoholkranke", "Sandler", "Wirtshaustrunkenbold", "selbstbesessen", "undiszipliniert", "sich selber liebend überschätzt", "verzaubert in Wahrheit nur noch sich selbst", "Voyeurismus der Zuschauer", "pervertierte Größensehnsüchte des Kunstbetriebs". Mit am Ende dem Verdikt: "Nahrung muß ihm sofort verweigert werden" (dem Geniekult), und dann die zynische Mordwaffe: Er habe "ein Recht darauf, vor der letzten Selbstzerstörung bewahrt zu werden", was als "Erbarmen" des moralischen Gnadenschusses ausgegeben wird, denn wie soll einer, der danach auftreten muß, noch überleben ? (Profil, Sigrid Löffler, No. 32 /1983). Das alles, ohne den "Homburg" selbst mit einem Wort in einer Kritik zu erwähnen, da er noch gar nicht herausgekommen und Oskar Werner seit 1970 nicht mehr auf der Bühne gestanden war.

Im "Spiegel" steht dann aus ähnlichem Anlass "ein Abgemagerter, Verwüsteter, Betrunkener, rezitierte, flennte, bramarbasierte und faselte....", "nichts als eine schöne Kunsterinnerung der älteren Generation - die Erinnerung an Pathos, an schmale, nervöse, blonde Prinzlichkeit (siehe Profil), an die hohe Allure, die Anmut und Grandezza eines knäbischen Wams- und Degen-Trägers...", "Hysterien, gefeiert, aufgeschwemmte Züge, trüber Blick, lallte, prahlsüchtig....".

Warum das alles ? Weil er zur Ästhetik der Vätergeneration gerechnet wurde ? "Gedichte gegen den Krieg" - Hohn! - Rezitationen in Mauthausen, neben dem "Homburg" in Krems, halfen nichts: Hier hatte man alles schön beisammen: den hohen Ton, das Blonde, Charisma, Aura-Vorwürfe tauchen immer wieder auf. Selbst Hollywoods Beifall rettete ihn nicht, und wenn er menschliche Schwächen zeigte, waren alle Solidaritäten gelernter Sozialgefühle vergessen. Das ist der böse Blick der Aufklärung von '68 und alle anderen Behauptungen sind nichts wert und der ästhetische Feind war ihnen der schlimmste, denn er rührt an den Selbstverrat.

 

Aufklärung von '68 Oder die Erstbänkler der deutschen Umerziehung: Hass auf den Außenseiter und andere, Rache für Liebesentzug mit einer Gnadenlosigkeit, die nur noch ein Beispiel kennt, immer in den Möglichkeiten der Zeit. Verfolgungstrieb bis zur Extermination mit dem höhnischen Nachtreten der Häme, wenn der andere fällt.
Sie hatten im Falle Oskar Werners alles erkannt, beschrieben: Krankheit, Einsamkeits-Leiden, Außenseitertum, Labilität, Turm-Existenz, -Entblössung, moribunde Sensibilität. Da erst begann die Hatz richtig Mass zu nehmen an sich.

Der häufigste Vorwurf war, Oskar Werner sei seinem eigenen Stil der Jugendlichkeit nicht entkommen. Das begann 1970, als er in Salzburg den "Hamlet" spielte mit fast 50 Jahren: Vergleiche mit dem Theater der 20er Jahre (Hilde Spiel, die dafür den Kritikerpreis der Stadt Salzburg erhielt - in der FAZ) und dem Jahr 1900, (Ivan Nagel, SZ, als Berater des Senators for kulturelle Angelegenheiten in Berlin wohl nicht ganz unschuldig für die Schliessung der größten deutschen Sprechbühne zehn Jahre später), gepaart mit dem Vorwurf der Unreife. Nun war er den Verfolgern freigegeben. Als er nach dreizehnjähriger Pause wieder auftauchte mit dem "Homburg", begannen die Todesstösse der Sigrid Löffler auf dieser Ebene. Aber niemand sah, daß hier einer vom Berge noch einmal herabkam mit einer Reife, die alle und alles an die Grenzen unserer Existenz führte. Und selbst wenn es nur die Filmaufzeichnung wäre, die blendete und schon wieder verlacht wurde, so wäre es doch die Spur dessen, was verloren ging und woran alles leidet.
Es ist, als ob einer J.S.Bach vorwerfe, seine Musik sei reaktionär gewesen im Vergleich mit der Avantgarde-Modernität seiner Söhne.

 

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Das Gehirn Oskar Werners, sagten die obduzierenden Ärzte nach seinem plötzlichen Tod, war so zerfallen, daß man sich wunderte, wie er so habe noch leben können. Er aber sang, sprach wie aus der Kunst in die Ewigkeit und trat auf wie der Schwan zu seinem letzten Gesang. Das Testament war österreichisch: Ein Satz: nicht in Wien begraben sein zu wollen.

 

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Der formende Blick.
Vor einiger Zeit ergab sich die Überlegung, ob nicht jeder vor jedem anderen sich anders verhalte. Wieviel mehr noch in der Kunst der Darstellung. Die Chance der Regisseure, wenn sie Persönlichkeiten sind, Geist haben und Liebe. Und wieviel mehr bedeutet es, wenn diese blickende Gegenwart zur formenden Tat wird, nur durch Gegenwart einwirkender Dinge. Mehr ist nicht. Es bedarf großer Nähe, daß es wirke. Alles andere ist weniger.
Wer dort freien Willens aufgibt, ist ein zu betrauernder Fall. Wer es erringt und aushält, erringt das Optimum und Höchste.

 

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Rückzug und Turmexistenz Oskar Werners bedeuten 14 Jahre Einsamkeit. Nach seinem letzten Auftritt im Salzburg des "Marktes der Fliegen" (Nietzsche), der Schmeissfliegen des Betriebs, sowie zehn Jahre nach seinem Abtritt vom Burgtheater seiner Herkunft. Wie es im Homburg heißt. Berge als Partner und Land von Morgen bis Abend, Jahr um Jahr, mehr als ein Vierteljahrhundert. Die Gnade der elektronischen Geräte als Partner wie Glenn  Gould hat er nicht gehabt. Und als er wieder unter die Leute trat, wie Zarathustra hinab, verziehen sie ihm nicht, daß der junge "Mozart" der Nachkriegszeit nun der des "Requiems" war, der noch zu Lebzeiten um Nachsicht bat, nicht fertig geworden zu sein. Und es sprachen die, die auch von Kleist reden -  wenn sie ihm Somnambulismus und Krankheit vorhalten - finsterer im Handeln als das philiströse Preussen seiner Zeit. Wie konnte man ihm vorwerfen, daß er ohne Kunst, aus der einzig er sich nährte, nicht leben konnte und er sich deshalb wieder unter sie wagte und entblößte für ihre Schläge. Denn es ist nicht erlaubt, den einmal Verehrten, den Leidenden, den  Gebrechlichen derart zu bedrohen, daß man das eigene Mass der mediokren und leidenschaftslosen Zeit anlegt, da Oskar Werner doch wie von alters her Masstäbe gesetzt hatte, wie altes Holz dem neuen, unabgelagert und schnell zu verarbeiten, damit es überhaupt noch zu verbrauchen ist. Wer da um Erbarmen bittet und Oskar Werner solle nicht tun, was ihm sein Herz befahl, der will verhindern, abschaffen, der neigt zu eliminieren, was nicht nach eigenem Masse ist.  Aus Angst vor dem Vergleich oder um sich zu profilieren, eitel und rechtschaffen oder nicht einmal das. Er tötet den, der erstickt, wenn er nicht reden, schreiben, sein darf in dem und wodurch er lebt. Alles andere ist gelogen, Heuchelei,  finsterste Betriebsamkeit der Lauen, wo offener Mord noch eine Tat wäre, die man ahnden könnte. Aus Absicht, so daß Höllenstrafen heute harmlos wären im Vergleich mit der Langeweile solcher Existenzen. Meuchelmord. Posthum.

 

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Der Generationswechsel von'68. Regietheater als neue Ästhetik im Namen der Aufklärung. Und die Strategie der neuen Mächte postuliert Vorurteile, die sie kalt exekutiert. Kämpferisch, ungerecht, wie immer, blindlings. Und da ist interessant, was die beiden großen Zeitungen (SZ und FAZ) damals definierten als Forderung und Nein. Deutlich wird verurteilt: Irrationalität (das Nichtverstandene als das Nichtgewollte gilt als Verwirrung des Publikums), Gemüt, Reinheit (I. N.). Falsche Töne , ohne Gestalt und Realisierung (des selbst Erhofften, das ein anderes ist). So wird bei beiden daraus eine theatralische Katastrophe wie noch nie (H.Sp.) und eine Veranstaltung, die mit dem "lebendigen deutschen Theater nichts zu tun " habe. Bei beiden taucht Kortner als Gegenbild offen oder indirekt auf, ebenso das  Museale mit Hinweis auf Kainz-Schülerschaft oder die Zeit um 1950 und "jüngst Vergangenes" "vor zwanzig Jahren" gilt als Beweis mangelnder Qualität, die damals Avantgarde hiess der Moderne, also gerade Hitler entkommen. Dagegen mußte der vogeworfene "Gesang" eines Oskar  Werner scheitern, wie sein Spiel im "Aus" der kunstfernen Zeiten. Denn gefordert wurde ein pathologischer "Hamlet" als halbirrer Hysteriker, wenn nicht

eingebaut in ein rationales Bezugssystem der Nachkriegsaufklärung in Deutschland.

Diese beiden Stimmen waren von besonderem Gewicht. Sie kamen von denen, die Deutschland nach 1945 erzogen. Ihre Urteile waren unantastbar. Vorbildhaft. Und sie schrieben an besonderer Stelle (SZ/FAZ) mit dem Instrumentarium der Zeit. Nach dem Hamlet 1970 von tödlicher Wirkung. Mit Rückzug und Freigabe an alle. Siehe Homburg dreizehn Jahre später. Ab da war Oskar Werner vogelfrei.

 

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Immer deutlicher wird, daß einer der Urgründe der Darstellungskünste des menschlichen Körpers, speziell mittels des Worts, der Atem ist. Was die Heutigen verloren wie den Grund, auf dem sie fest stehen, als Basis auch aller Festigkeit und Gründung in der Welt und wie das Herzblut aller Hingabefähigkeit, muß als besondere Übung erkannt und mühsam täglich zu erarbeiten verstanden werden wie früher Sprachübungen in Konsonanten und Vokalen selbst. Dieser Atem enthält den Geist der Worte und letzten Endes die Glaubwürdigkeit von innen, um deren Stetigkeit es geht. Dieser Atem wird Haltung oder er wird zum Flattern aller Erscheinungen der gehetzten Hysterie pathologischer Manieriertheit trotz aller  Übungen, wenn diese Basis verloren geht geht, denn der war nicht ohne Grund einmal Sinnbild des Geistes.

Fortsetzung folgt

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