neue Ästhetik der sogenannten Aufklärungsmechanismen und -Alibis als Auftrag der Subventionsmittel. 35Die Ensembles der Mitbestimmung mit sozialistischen und psychoideologischen Komponenten bedeuteten neben handwerklichen
Verlusten solcher menschlicher Darstellungsaura mit äußerlicher Bereicherung der Schreiästhetik ohne Form große seelische Verarmung. Auf dem Theater wie im Film begann die Zeit der Verpackungskünste, der Übermalungen
und intellektuellen Interpretationskünstler, obwohl die Regisseure gerade als Originalgenies, dem Autorenprinzip des damaligen Films entsprechend, dem Interpretationszwang ihrer Partiturnähe zu entkommen suchten. Und
wenn sie sich in den Luxus von Ausstattung, historischen Zitaten aus der Kunstgeschichte in die politisierte Weltgeschichte flüchteten, so war doch immer der Regisseur der Demiurg und spiritus rector als Macher und
ironischer Analytiker im Auftrag jener Arbeit, die man Bewältigung, Trauer oder Betroffenheit nannte und deren Analyse, nicht zuletzt des eigenen Egos, die oft schulmeisterlich war, immer die anderen benutzte und mit
der Gefahr großer Austauschbarkeit und Beliebigkeit oder Instrumentalisierung der Menschen, der Themen und Haltungen. Dem Aufklärungsmaterialismus entsprach die manieristische Larmoyanz eines sentimentalen Intellekts.
36Ein Nebenmotiv der Angriffe gegen die letzten Theateraktivitäten Oskar Werners seit dem Hamlet
in Salzburg (1970) war der Vorwurf, er habe selbst Regie geführt, oder es gäbe gar keine - die gab es sicher nicht im Sinne des damals aufkommenden Regie- Theaters, als Hauptinteresse der intellektuellen
Interprtetation. Und man erinnert sich an L.Olivier, Barrault, Strehler (Faust!), Gründgens. Vielleicht gehörten auch Kortner hierher und die Duse. 37Aber Richard Wagner, dieser größte Hymniker des gesungenen Wortes unserer Zeit, schrieb zur Uraufführung seines Werks allen Sängern hinter der Bühne nur ein Wort
der größten Forderung bei aller Höhe und Leidenschaft, nämlich "Deutlichkeit". Denn was hülfe Gefühlsaufschwung und Eigenverkündigung ohne das Handwerk der Präzision als Rückgrat aller Erhöhung, was die Liebe
ohne Verstand, was das Herz ohne Vernunft, es auch durchzuhalten und zu setzen. Wie arm die Theaterfurie und Kindlichkeit ohne Raum der Klugheit. All dies zusammen erst ergibt das Koordinaten-System der
klugen Erwägungen des Instinkts und der unbeirrbaren und unbeugsamen Herzenstaten des Geistes, das den Weg weist. Die detaillierte Verfolgung der Bewegungen und des Ausdrucks hier im Bild des "Homburg" zum
Ton des Worts erlaubt den Verlauf der Präzision und jener Deutlichkeit bei aller geforderten Höhe des Seelenausdrucks zu beweisen als Imaginationskraft eben dieser Kunst noch. Es ist das Dokument eines bis aufs äußerste
getriebenen Klagelieds dieser Selbstopferung, der im höchsten Dienst stehenden Darstellungskunst mit menschlichem Körper im Raum (Theater) oder in der Bewegung (Film). Es zeigt den letzten Sänger des
Ensembletheaters in seinem unabänderlichen Willen, den ihm zuerkannten Tod anzunehmen - verlacht, verhöhnt durch Seelenmord nicht nur künstlerisch nach dem Kriege in Deutschland. Das ist das Deutschland Hölderlins,
der Priester ohne Gott, der Köpfe ohne Seele, der Handwerker ohne Hand, ein Land, das den Sieg, den es auf dem Schlachtfeld verlor, sich einhandelte durch Unterwerfung, der Materialität ohne Herz, ein Land ohne Dichter
und Denker, lauthals lärmend im faulen Scheinfrieden, ein Risiko für jede Belastung. Das ist der Preis für den Pakt des Gewinns, denn unterworfen wurde das eigene Leiden, das aus den Schmerzen jener Schuld wächst, die
man nicht abkauft und verkauft und die man durch keine Umerziehung abträgt. Da hilft auch kein Beiseitebringen und Ausmerzen ("Der lebende Leichnam", so die SZ zu Oskar Werners "Hamlet" und
"modernistischer, historischer Muff"), emsig und buckelnd im Dienst an der Zeit und an denen, die aus anderer Erfahrungsinterpretation der Emigration kommen und einer Kunsttradition, wo das Heilige nicht
darstellbar war oder die die Wahrheit in Ironie maskieren. Aber nur ihre Großen. Eines wird wieder deutlich und ist auf keine Epoche und Regierung beschränkt: Kein Rassismus ist größer als der der ästhetischen
Unduldsamkeit, denn es geht um das Gedächtnis der Geschichte und um die Vision, wofür wir sind. 38
Das Verdikt war deutlich und der Zeit gemäss. "Wer...psychologisch spielt, muß...pathologisch spielen, der wird dabei gezwungenermaßen
(Anmerkung hier) ein halbirrer Hysteriker". Oder es gehe darum, ein normales Bezugssystem von Tatsachen und Erwartungen, an denen man sein Handeln und seine Haltungen messen könne, herzustellen (I.N.zu "Hamlet" in Salzburg 1970). Das war die Ästhetik der Aufklärung nach '68 und der dazugehörende Manierismus als Gefühlsalibi, hier mit der Forderung nach einem "dekadent zögernden oder detektivisch Spürenden". Hamlet als Postulat der neuen Zeit, 25 Jahre nach dem Kriege.
Was war nun das ästhetische Prinzip, das hier am Beispiel Oskar Werner angegriffen und so erbarmungslos in Frage gestellt wurde, und hinter Oskar Werner immer alle anderen mit, die sich nicht so kämpferisch
ausgesetzt hatten, weder in der Höhe seiner Möglichkeiten, noch in Selbstdefinitionen gegen die Funktionäre der Öffentlichkeit. Sein angeblicher "Irrtum" oder sein"Missverständnis" der Rolle
und der Darstellungskunst wird definiert als Kunstgewerbe, Rezitationsstil, als ein Raten und Tasten und Irren, Epilepsie (der Gefühle) eines Wahnsinnigen, Selbstsüchtigen, in sein Unfertigsein Selbstverliebten, und, -
und nun kommt das Wort gegen einen, der "nachsingt", überhaupt wie ein "Liedsänger" sei , der einen "Singtrieb" entwickelt habe, womit sein Hauptvergehen im Sinne der neuen Zeit damals
benannt wurde: er habe das Stück auf seine (Hamlets) Seele projiziert. Im Sinne der künstlerischen Überhöhung dann führte das zu jenem Singen der Sprache, das die ganze künstlerische Existenz dieses Darstellers
als Sänger seiner Seele und des ihm aufgegebenen Textes beschreibt als höchsten Ausdruck eines erotischen Pathos der Reinheit, die nicht mehr gewollte oder beargwöhnte nach dem Kriege, die aber gerade immer wieder
aufgetragene und koste es das Leben, wenn wir uns als authentisch verstehen. Es geht letztlich auch um das Monologische einer emblematischen Kunst, die sinnbildhaft das Ganze in einer Person vereint, hier im Todesgesang
dessen, der weiß, daß es sein letzter sein wird für alle und seine Kunst. Denn was wäre das alte tragische griechische Drama, nach allen Auskünften, immer am Ende ohne diesen Gesang unseres Ursprungs, was Dionysos, was
Pindar, was Hölderlin, was die Kunst ohne Erhebung am Ende in die jenseitige Welt der Transmaterialität ? 39Damit kein Irrtum entsteht. Wenn hier von des Wortes Gesang als des hohen Tons subtilster Wahrhaftigkeit gesprochen wird, so meint das kein verdächtiges Pathos abgelebter
Natur, sondern jene Festigkeit des Atems, die entsteht, wenn man tief gegründet steht oder sich bewegt und dann erhebt. Das ist ganz einfach dann und fest wie des Glaubens würdig, eben als ob man wisse, daß man recht
hat, wie sehr auch gebrechlich und schwer errungen, im Gegensatz zu jener Kurzatmigkeit der flatternden Hysterien und sentimentalen Manierismen, die diese Zeit so sehr liebt, daß sie denkt, deren Maskenhaftigkeit des
unglaubwürdigen Gefühls und der rationalisierten Beteuerungssysteme seien Theater, weil nicht als Wirklichkeit oder als Spiegel der allgemeinen Heucheleien oder Protestaktionen für die vorauseilenden Medien zu
verstehen, als Pathologie der Moderne. So wirken diese Lyrismen von heute wie darübergespritzte Farben ohne Verbindung mit dem Untergrund, die von Einfall zu Einfall wechseln, daß man, hochgereizt für schnellen Konsum,
teils betört, wenn überhaupt solche Töne noch möglich sind, teils schnellfertig bedient, sich zufriedengibt und nach einiger Zeit gar nicht mehr weiß, wie richtige Farben auf gutem Grunde stehen und leuchten. Man
prüfe nach: die Abschiedsworte Homburgs zum Kurfürsten: "Jetzt schenktest Du das Leben mir. Du bist es wert" oder jenes "Ich will auf meine Güter gehn am Rhein.....und in dem Kreis herum das Leben jagen,
bis es am Ende niedersinkt und stirbt". Und dann das : "Nun", vor dem "O Unsterblichkeit, bist du ganz mein!"....Da beginnt die Glaubwürdigkeit der Kunst als Frage an die Identität des Lebens,
aus der sie kommt, wie elend auch immer, und gerade dann. Wer diese Wahrheit nicht klärt, wird nicht einmal als Suchender abgelöst werden vom Gelächter der Erben, und das ist die Hölle, die nun folgt. 40Der Direktionswechsel am Burgtheater, das schon Oskar Werner floh, war fällig, durch die ideologisierte,
aggressiv-sentimentale Aufklärungs- und von Deutschland bestimmte Medienmaschine als nur eine Etappe der Entwicklung, deren nächste die Abschaffung des Schiller-Theaters zur Erhaltung des Budgets für die Berliner
Volksbühne war. Von da aus gesehen, war die Bekämpfung und Beseitigung der Theaterkunst eines Oskar Werner logisch und symptomatisch: er mußte weg. Daß der am Anfang dieser Entwicklungen stehende
"Homburg"-Regisseur der Berliner Schaubühne nun im toten Establishment von Salzburg statuarisch-saturiert von amerikanischer Abräum-Ästhetik am selben Ort erledigt wird, ist neben der Rache der Geschichte nur
ein Zeichen des Fort-Schritts, der uns alle die Kunst kostet, um die es einmal ging. Mit dem Gedächtnis endet so auch die Zukunft nach letzten Rückzügen jener Authentizität, für die ein Oskar Werner in gerader Linie,
ohne Verrat und unübertragbar, sein Opfer brachte. 41 Ein Videoband mit abwechselnden Aufnahmen des Oskar-Werner-Homburg, verglichen mit dem der Steinschen Schaubühnen-Version, also der
Modellinszenierung des Gewollten mit dem Nicht-Gewollten der Zeit bis |