Fortsetzung von Teil 6 - zurück

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Sterbende Kulturen. Zum Beispiel "Faust", das Lebenswerk Goethes, den man mit den Deutschen verbindet wie sonst nichts, Oskar Werner wollte ihn zuletzt noch als Monolog wagen. Bis zur Gestalt des Gretchens ist er in seinen privaten Tonaufnahmen gekommen. Mephisto und Faust ja, die rettende Reinheit der Mädchengestalt am Ende nicht mehr geschafft ?
Robert Wilson beabsichtigt jetzt, den "Hamlet" als Monolog zu versuchen, alle Rollen spielend, auch die der Mutter. In Houston, Texas. Den "Faust" machte er als Übung mit Schülern, erfolgreich über die Welt eingeladen, aber von Gertrude Stein. P.Stein, hört man, will nun seinen "Faust" in Berlin für 12 Millionen realisieren, der Regisseur  des "Homburg" von 1972 und des Salzburger Sommers 1994. Schleef ist an seinem "Faust"-Projekt gescheitert. Bleibt die Gründgenssche Version ?  Kortner blieb im ersten Teil stecken, d.h. er hat den ganzen Faust (2.Teil) nie gemacht, obwohl er gerne gewollt hätte, den Schluß haben wir nur als Lesung. Brechts "Urfaust" ist die einzige Produktion des Berliner Ensembles, die die Partei hintertrieb. Grübers "Faust" wurde zum Minetti. Strehler aber war weit weg, hinter den Bergen, wie Nietzsche in Italien.
Im "Traum", - mit der Frage, was verloren ist nun, - erscheint Faust an seinem Ende sterbend als Zitat einer Frau. Wenn das erlösende Gretchen mit den letzten Worten vom Ewig-Weiblichen, von jenem Hinanziehen spricht, mit dem dieses Opus magnum endet, dann sagt sie es in scheuer Frage wie an eine alte Erinnerung. Eine Journalistin schrieb, sprach von  Mord, nämlich an denen, die dazu nicht mehr imstande seien ? ("Wiedereinführung der Todesstrafe", "Propaganda", "es gäbe danach solche, die verdient haben zu leben, und solche, die es nicht wert sind.") Eine Generation, die so denkt und schreibt, wird einen Faust nicht mehr verstehen.

 

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Am Ende des Oskar-Wernerschen "Homburg" werden seine Striche und Auslassungen schmerzlich,  - mutwillig oder durch Kräfteverfall. Und wie angesichts der Torsi und Rudimente oder Fragmente ehemaliger Größe stehen wir dankbar vor den Resten und zählen die Scherben oder sehen und erkennen im Übriggebliebenen die Todesnähe des Verlustes mit besonderem Dank für die Erfahrung, wenn sie von den Gefahren kündet, die das Erhaltene überstand. Und kopfschüttelnd sehen wir das Gelächter der Freunde des Todes, wie sie noch lachend sich die Hände reiben nach guten Geschäften, die das bringt: tötend und gleichzeitig ihr Mitleid bekundend zur guten Tat und am besten beides zusammen.

Wer die Identität verachtet oder sie zu verlieren auffordert oder unwillentlich zum Opfer wird eines solchen Verlustes, wird zum Sklaven anderer Meinungen, Haltungen und der Medien, die diese mangelnde Ordnung und Orientierung ausfüllen. Die Angst vor der  Isolation gerade in solcher seelischen Heimatlosigkeit sinnentleerter Existenz treibt die Opfer der Destruktion denen zu, die daraus Macht gewinnen in dem, was wir heute Freiheit nennen und Demokratien der Minderheiten.

Was damals einem Oskar  Werner entgegenstand, und er wußte intuitiv um seine Chancenlosigkeit, wenn er so auch gegen sich selber stand, war das neue System der Macher-Regisseure, der ideologischen Bramarbaseure, der Scharlatane und Chamäleons. Und dahinter standen die Kritik und medienbereite Hochschule und das öffentlichkeitshörige Publikum. Es umfaßte die Technik mit Lichtdesign und Beschallungseinsatz, die Übernahme der Produktionsmittel und damit der Macht, und es bedeutete eine

Oskar Werner in der Hand

neue Ästhetik der sogenannten Aufklärungsmechanismen und -Alibis als Auftrag der Subventionsmittel.

 

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Die Ensembles der Mitbestimmung mit sozialistischen und psychoideologischen Komponenten bedeuteten neben handwerklichen Verlusten solcher menschlicher Darstellungsaura mit äußerlicher Bereicherung der Schreiästhetik ohne Form große seelische Verarmung. Auf dem Theater wie im Film begann die Zeit der Verpackungskünste, der Übermalungen und intellektuellen Interpretationskünstler, obwohl die Regisseure gerade als Originalgenies, dem Autorenprinzip des damaligen Films entsprechend, dem Interpretationszwang ihrer Partiturnähe zu entkommen suchten. Und wenn sie sich in den Luxus von Ausstattung, historischen Zitaten aus der Kunstgeschichte in die politisierte Weltgeschichte flüchteten, so war doch immer der Regisseur der Demiurg und spiritus rector als Macher und ironischer Analytiker im Auftrag jener Arbeit, die man Bewältigung, Trauer oder Betroffenheit nannte und deren Analyse, nicht zuletzt des eigenen Egos, die oft schulmeisterlich war, immer die anderen benutzte und mit der Gefahr großer Austauschbarkeit und Beliebigkeit oder Instrumentalisierung der Menschen, der Themen und Haltungen. Dem Aufklärungsmaterialismus entsprach die manieristische Larmoyanz eines sentimentalen Intellekts.

 

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Ein Nebenmotiv der Angriffe gegen die letzten Theateraktivitäten Oskar Werners seit dem Hamlet in Salzburg (1970) war der Vorwurf, er habe selbst Regie geführt, oder es gäbe gar keine - die gab es sicher nicht im Sinne des damals aufkommenden Regie- Theaters, als Hauptinteresse der intellektuellen Interprtetation. Und man erinnert sich an L.Olivier, Barrault, Strehler (Faust!), Gründgens. Vielleicht gehörten auch Kortner hierher und die Duse.

 

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Aber Richard Wagner, dieser größte Hymniker des gesungenen Wortes unserer Zeit, schrieb zur Uraufführung seines Werks allen Sängern hinter der Bühne nur ein Wort der größten Forderung bei aller Höhe und Leidenschaft, nämlich "Deutlichkeit". Denn was hülfe Gefühlsaufschwung und Eigenverkündigung ohne das Handwerk der Präzision als Rückgrat aller Erhöhung, was die Liebe ohne Verstand, was das  Herz ohne Vernunft, es auch durchzuhalten und zu setzen. Wie arm die Theaterfurie und Kindlichkeit ohne Raum der Klugheit.  All dies zusammen erst ergibt das Koordinaten-System der klugen Erwägungen des Instinkts und der unbeirrbaren und unbeugsamen Herzenstaten des Geistes, das den Weg weist.
Die detaillierte Verfolgung der Bewegungen und des Ausdrucks hier im Bild des "Homburg" zum Ton des Worts erlaubt den Verlauf der Präzision und jener Deutlichkeit bei aller geforderten Höhe des Seelenausdrucks zu beweisen als Imaginationskraft eben dieser Kunst noch. Es ist das Dokument eines bis aufs äußerste getriebenen Klagelieds dieser Selbstopferung, der im höchsten Dienst stehenden Darstellungskunst  mit menschlichem Körper im Raum (Theater) oder in der Bewegung (Film). Es zeigt den letzten Sänger des Ensembletheaters in seinem unabänderlichen Willen, den ihm zuerkannten Tod anzunehmen - verlacht, verhöhnt durch Seelenmord nicht nur künstlerisch nach dem Kriege in Deutschland.
Das ist das Deutschland Hölderlins, der Priester ohne Gott, der Köpfe ohne Seele, der Handwerker ohne Hand, ein Land, das den Sieg, den es auf dem Schlachtfeld verlor, sich einhandelte durch Unterwerfung, der Materialität ohne Herz, ein Land ohne Dichter und Denker, lauthals lärmend im faulen Scheinfrieden, ein Risiko für jede Belastung. Das ist der Preis für den Pakt des Gewinns, denn unterworfen wurde das eigene Leiden, das aus den Schmerzen jener Schuld wächst, die man nicht abkauft und verkauft und die man durch keine Umerziehung abträgt.
Da hilft auch kein Beiseitebringen und Ausmerzen ("Der lebende Leichnam", so die SZ zu Oskar Werners "Hamlet" und "modernistischer, historischer Muff"), emsig und buckelnd im Dienst an der Zeit und an denen, die aus anderer Erfahrungsinterpretation der Emigration kommen und einer Kunsttradition, wo das Heilige nicht darstellbar war oder die die Wahrheit in Ironie maskieren. Aber nur ihre Großen. Eines wird wieder deutlich und ist auf keine Epoche und Regierung beschränkt: Kein Rassismus ist größer als der der ästhetischen Unduldsamkeit, denn es geht um das Gedächtnis der Geschichte und um die Vision, wofür wir sind.

 

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Das Verdikt war deutlich und der Zeit gemäss. "Wer...psychologisch spielt, muß...pathologisch spielen, der wird dabei gezwungenermaßen (Anmerkung hier) ein halbirrer Hysteriker". Oder es gehe darum, ein normales Bezugssystem von Tatsachen und Erwartungen, an denen man sein Handeln und seine Haltungen messen könne, herzustellen (I.N.zu "Hamlet" in Salzburg 1970). Das war die Ästhetik der Aufklärung nach '68 und der dazugehörende Manierismus als Gefühlsalibi, hier mit der Forderung nach einem "dekadent zögernden oder detektivisch Spürenden". Hamlet als Postulat der neuen Zeit, 25 Jahre nach dem Kriege.
Was war nun das ästhetische Prinzip, das hier am Beispiel Oskar Werner angegriffen und so erbarmungslos in Frage gestellt wurde, und hinter Oskar Werner immer alle anderen mit, die sich nicht so kämpferisch ausgesetzt hatten, weder in der Höhe seiner Möglichkeiten, noch in Selbstdefinitionen  gegen die Funktionäre der Öffentlichkeit.
Sein angeblicher "Irrtum" oder sein"Missverständnis" der Rolle und der Darstellungskunst wird definiert als Kunstgewerbe, Rezitationsstil, als ein Raten und Tasten und Irren, Epilepsie (der Gefühle) eines Wahnsinnigen, Selbstsüchtigen, in sein Unfertigsein Selbstverliebten, und, - und nun kommt das Wort gegen einen, der "nachsingt", überhaupt wie ein "Liedsänger" sei , der einen "Singtrieb" entwickelt habe, womit sein Hauptvergehen im Sinne der neuen Zeit damals benannt wurde: er habe das Stück auf seine (Hamlets) Seele projiziert. Im Sinne der künstlerischen Überhöhung dann führte das zu jenem Singen der Sprache,  das die ganze künstlerische Existenz dieses Darstellers als Sänger seiner Seele und des ihm aufgegebenen Textes beschreibt als höchsten Ausdruck eines erotischen Pathos der Reinheit, die nicht mehr gewollte oder beargwöhnte nach dem Kriege, die aber gerade immer wieder aufgetragene und koste es das Leben, wenn wir uns als authentisch verstehen. Es geht letztlich auch um das Monologische einer emblematischen Kunst, die sinnbildhaft das Ganze in einer Person vereint, hier im Todesgesang dessen, der weiß, daß es sein letzter sein wird für alle und seine Kunst. Denn was wäre das alte tragische griechische Drama, nach allen Auskünften, immer am Ende ohne diesen Gesang unseres Ursprungs, was Dionysos, was Pindar, was Hölderlin, was die Kunst ohne Erhebung am Ende in die jenseitige Welt der Transmaterialität ?

 

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Damit kein Irrtum entsteht. Wenn hier von des Wortes Gesang als des hohen Tons subtilster Wahrhaftigkeit gesprochen wird, so meint das kein verdächtiges Pathos abgelebter Natur, sondern jene Festigkeit des Atems, die entsteht, wenn man tief gegründet steht oder sich bewegt und dann erhebt. Das ist ganz einfach dann und fest wie des Glaubens würdig, eben als ob man wisse, daß man recht hat, wie sehr auch gebrechlich und schwer errungen, im Gegensatz zu jener Kurzatmigkeit der flatternden Hysterien und sentimentalen Manierismen, die diese Zeit so sehr liebt, daß sie denkt, deren Maskenhaftigkeit des unglaubwürdigen Gefühls und der rationalisierten Beteuerungssysteme seien Theater, weil nicht als Wirklichkeit oder als Spiegel der allgemeinen Heucheleien oder Protestaktionen für die vorauseilenden Medien zu verstehen, als Pathologie der Moderne. So wirken diese Lyrismen von heute wie darübergespritzte Farben ohne Verbindung mit dem Untergrund, die von Einfall zu Einfall wechseln, daß man, hochgereizt für schnellen Konsum, teils betört, wenn überhaupt solche Töne noch möglich sind, teils schnellfertig bedient, sich zufriedengibt und nach einiger Zeit gar nicht mehr weiß, wie richtige Farben auf gutem Grunde stehen und leuchten.
Man prüfe nach: die Abschiedsworte Homburgs zum Kurfürsten: "Jetzt schenktest Du das Leben mir. Du bist es wert" oder jenes "Ich will auf meine Güter gehn am Rhein.....und in dem Kreis herum das Leben jagen, bis es am Ende niedersinkt und stirbt". Und dann das : "Nun", vor dem "O Unsterblichkeit, bist du ganz mein!"....Da beginnt die Glaubwürdigkeit der Kunst als Frage an die Identität des Lebens, aus der sie kommt, wie elend auch immer, und gerade dann. Wer diese Wahrheit nicht klärt, wird nicht einmal als Suchender abgelöst werden vom Gelächter der Erben, und das ist die Hölle, die nun folgt.

 

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Der Direktionswechsel am Burgtheater, das schon Oskar Werner floh, war fällig, durch die ideologisierte, aggressiv-sentimentale Aufklärungs- und von Deutschland bestimmte Medienmaschine als nur eine Etappe der Entwicklung, deren nächste die Abschaffung des Schiller-Theaters zur Erhaltung des Budgets für die Berliner Volksbühne war. Von da aus gesehen, war die Bekämpfung und Beseitigung der Theaterkunst eines Oskar Werner logisch und symptomatisch: er mußte weg. Daß der am Anfang dieser Entwicklungen stehende "Homburg"-Regisseur der Berliner Schaubühne nun im toten Establishment von Salzburg statuarisch-saturiert von amerikanischer Abräum-Ästhetik am selben Ort erledigt wird, ist neben der Rache der Geschichte nur ein Zeichen des Fort-Schritts, der uns alle die Kunst kostet, um die es einmal ging. Mit dem Gedächtnis endet so auch die Zukunft nach letzten Rückzügen jener Authentizität, für die ein Oskar Werner in gerader Linie, ohne Verrat und unübertragbar, sein Opfer brachte.

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Ein Videoband mit abwechselnden Aufnahmen des Oskar-Werner-Homburg, verglichen mit dem der Steinschen Schaubühnen-Version, also der Modellinszenierung des Gewollten mit dem Nicht-Gewollten der Zeit bis

heute, Auftritt um Auftritt,  nun abgefilmt, nicht überspielt, so daß  aus beiden Inszenierungen nur die Homburg-Szenen mit dem jeweiligen Hauptdarsteller bleiben, ergibt folgendes Resultat: Das Steinsche System zeigt eine dramaturgisch geschickte und zeitgemässe Intelligenz mit seinen angestrengten Leuten bis zur überreizten Innerlichkeit, die, wenn sie nicht von innen gehalten und getragen wird von der Liebe oder von ihrer Sehnsucht nach ihr oder von einer Todes-Weisheit oder jener Tragik, die den Verlust des Vaterlandes beklagt, leer werden muß, ohne Imagination der Worte, der Gesten oder des Raums, dem der Geist fehlt und ohne den Theater nicht wirksam werden kann über den Zeitstrom hinaus.
Und dann der Oskar Wernersche "Homburg", noch in der Kläglichkeit der amateurhaften Dokumentation (mitgelaufen): er zeigt das große und einsame Klagelied eines Selbstopfers, wie nach allen Beschreibungen des "Hamlet" schon 13 Jahre zuvor von ihm vorweggeahnt, hybrid in der Kraft, um Verständnis rasend - damals wohl noch -, schwermütig im Wissen um seine Vergeblichkeit, nun todessüchtig um Vergebung flehend, daß alles umsonst ist und das trotzdem so gewagt und der Öffentlichkeit vorgesetzt wird, unverständlich einem Kulturbetrieb, der aus dem Kopf nur oder nach Pathologien süchtig urteilt, und zeigt nun den Gebrochenen mit letztem Aufbäumen dem Gelächter der Abgewendeten wie er sich in einem letzten Abschied preisgibt, der nicht mehr unter Seinesgleichen stattfindet. Und niemand sah, daß das der Schwanengesang einer Kunst des Theaters war, wie es nach ihm nicht mehr sein würde. Ein dreifacher Tod im Gelächter der Welt. Aber einer davon war für die Kunst, und ihren Abgang im Hohn versäumt und noch betrieben zu haben, ist unverzeihlich, strafbar und einzuklagen bis ans Ende der Welt.
Werner Krauß und Horst Caspar sollten wohl mit und in ihm untergehen. Was danach kam, ist etwas anderes.

 

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Zur Geschichte der Kraftlosigkeit gehört die Geistesferne des Theaters heute.Das, was gerade die Brechtschen Theatermodelle definierte, Kortner aus sich selbst schuf und die Fehling'schen Theaterwunder wohl, wie aus Berichten und Bildern kenntlich, aus dem Text, nach des Meisters Herkunft und Erscheinung, charakterisierte, ist mit der 68er Generation durch ideologische Kraftmeierei  der Macher im Medienlärm ersetzt.  Der Oberhausener Intellekt führte zum Aufbruch des Films ohne Geist und sogar durch Verhöhnung seiner Wurzeln zur Filmästhetik der Fassbinder und Schroeter als erstaunlichste "Momente" einer dünnblütigen Sinnlichkeit aus der sogenannten  "Schwulen"-Ästhetik, die sich erschöpfte, sobald die Moden der intellektuellen Thesen-Spekulanten wechselten. Aber der Spekulant der Interpretationen ersetzt nie das Bauprogramm des geistigen Architekten auf gewachsenem Boden. Und nichts ist leerer als eine Jugendrevolte ohne Jugend, wie auch der interpretierende Thesenspekulant ohne Thesen. Wie sollte ein ohne Eigenes geistlos gewordenes Theater in seiner größten Krise, ohne neue Texte visionsarm, sich erneuern außer in verblühenden Momentan-Attitüden ? Und wie der Film in Deutschland als Zeichen auf dem internationalen Markt überleben, wenn der ästhetische Geist sich selber abgeschafft hat, marginal wurde, in der Falle der materiellen und Massenerfolge verarmte, sich verkleinerte und letztlich sich selber auslöschte. Nie war die Chance des erneuerten Films aus Deutschland nach dem letzten Krieg dieser Markt an der Kasse, sondern allein das Innovations- und Forschungspotential der ästhetischen Geistesgeschichte, und ist nun gefälliges Opfer der  eigenen Geistesverluste. Das Schicksal einer solchen Kunst ist auch in unserem Jahrhundert der Verluste, wie immer geahnt, nämlich daß wir nicht mehr vorkommen, nicht unsere Bilder, nicht unsere Töne, nicht mehr unsere Leben, wenn über die Zukunft verhandelt wird und das Leben verteilt wie früher die Kolonien. Eine Film-Politik, - ganz dieser Entwicklung trauriger Spiegel des Faktischen-, die mehr mit finanziellem Einsatz der Autoren-Produzenten spekulierte, wird die Märkte nicht erobern und verlor die letzte eigene Chance geistig-ästhetischer Ansätze momentaner Revolte in der Autoreneigenschaft der Regisseure.

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Kraftlosigkeit als Kategorie der Kunst. Kraft ist nicht Macher-Betriebsamkeit oder kommerzielle Surferpotenzen. Sondern sie ist jene Motivation des Geistes im Koordinatensystem von oben und unten und eines Denkens des Anfangs und Endes, eine Ordnung, die weit greift, zentrale Punkte sucht jenseits des Lärms und der materiellen Erfolge, immer in der Strenge der Natur in uns, deren Regeln es transparent zu machen und offenzulegen gilt und festzuhalten in der Form, jeweils neu, nach Ort und Zeit und Temperament, als Beleg eben jener Kraft, die in uns treibt zu erscheinen, daß wir sind und einmal waren und immer sein werden. Erst wenn das aufhört, stirbt der Mensch als Teil der Natur, einzeln, in Gruppen oder als Kultur seiner Erscheinung. Wir selbst entscheiden darüber nun einmal ganz.

Strafe der Götter für die Hybris der Menschen, deren Kunst nach Vergebungsformen sucht in der Gnade, die die Götter gewähren im Masse unserer Möglichkeit, aber immer  im Theater des Protests des Menschen auch gegen die ewige Ungerechtigkeit der Götter, auch aus uns.

 

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Die Darstellungsphänomenologie der heutigen Schauspieler reicht weit in die Bereiche der Psychopathologien bis hinein ins Exhibitionistische, vielleicht unübertroffen und existentiell ehrlich, auch als Spiegel eigener Wunden, die die Welt heute zufügt und erfahrbar macht auf neue Weise. Früher ging alles durch die Partitur der Worte, die heute oft nur mehr als Seismographen von Fetzen des Gefühls stückweise im Raume hängen. Die Worte waren die Form, in der sich die Existenz verwundet darzustellen hatte, gehalten und fassbar. Wie kraftlos die heutige Bühnenerscheinung dann aussieht, beweisen die armen Menschen, der Raum, die Sprache und das Zerrinnen jedweder Haltung aus der Halterung des Lebens. Sie entspricht der Welt, die nun orientierungslos dahinfliegt in den Strömen der Computerfixierung und von Energien ganz anderer Art. Kraftlosigkeit aber wurde zum Deutungsschlüssel einer ganzen Generation, melancholieverloren und ohne Trauer jener Tragik, um die es einzig geht. Die Einsicht und Annahme unseres Verhängnisses mit Protest. Die ideologisch korrekte Betriebsamkeit der Macher von heute täuscht mit technischem Schein sogar die Masken vor. Und der Wahn-Sinn bedarf umso mehr der Form, als er laut ist und schreiend.

 

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Vom Film her als Autor der Produktionen in allen wichtigen Teilen gewohnt, anders zu denken als unter den Theaterleuten üblich, wurde im eigenen Theater versucht, der Flüchtigkeit der Interpretations-Kunst des Theaters zu entkommen, damit eine dem Film vergleichbare Autorenschaft der Regie aus Bilderfluß und Tönen mit Wortgeweben des fixierbaren Ich-Notats zur Zeit entstehe.Diese dann ablesbare Ästhetik wäre entwicklungsfähig, übertragbar und würde als Zeit-Erfahrung den individuell aktiv oder passiv daran Teilnehmenden gerecht. Dies Angebot ist hier nicht angenommen worden, weil nicht erkannt, nicht gewollt und daher nicht ausgebaut worden mit öffentlichen Aufträgen demokratischer Neugier.

Wer einmal die Grenzen  des Betriebs überstieg, gehört nicht mehr unter die anderen.Wer einen Kortner der späten Jahre in ein Ensemble hätte fügen wollen, hätte scheitern müssen. Wer hätte Oskar Werner sagen wollen, was zu tun, wie zu sprechen und was gemeint sei. Der solitäre Auftritt aber, allein oder unter anderen in eigener Verantwortung, braucht einen, der das Ich darstellt in der Partitur, aus einem Geist, der das Ich ernstnimmt, erkennen kann so wie die Partitur.
Es gibt geistige und künstlerisch intuitive Erscheinungen auch auf der Bühne flüchtiger Verwehungen und der überlieferten Partituren, wo eine originäre Gestalt neuer Erfindung aus seelischer Ekstase der seligen Ruhe entsteht. Wer einmal diesen Rubikon überschritten, befindet sich in anderen Dimensionen, sodaß eine Vermengung mit dem Ensemble nur noch möglich ist im Sinne des Solisten mit dem Orchester und wie dieser nicht mehr in die Reihe der ersten Geigen passen kann.

Fortsetzung folgt 18. Dez. 2002

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