22 Als 1972 der "Prinz von Homburg" in der Schaubühne herauskam (fast zehn Jahre später - 1983 also - der des Oskar Werner
in der Wachau als Privatunternehmung unter seiner Regie), also Anfang der Siebzigerjahre, war das auch das Erscheinungsjahr des "Ludwig"-Films aus der Vorstadt in Deutschland, in zehn Tagen gedreht, ohne Probe
im Studio mit Aufprojektionen von Wagner-Opern-Dekorationen und von Zeichnungen zu den Ludwig-Welten, mit Laien oder Darstellern, die nicht der Hochkultur zugerechnet werden konnten. Es war auch das Jahr des
italienischen "Ludwig"-Films, in drei Monaten gedreht in den Schlössern des Königs, ein Königsdrama wie ein letztes Mal, und es war die Zeit des Fassbinder, der noch zehn Jahre zu leben hatte. Darin, mit dem
Hintergrund von 1968 also, erschien dieser "Homburg" mehr als Regietat seines Regisseurs mit optischen Kombinationen von Caspar David Friedrich gerade recht und wie ein Ersatz und eine Behauptung gegen viele
Verluste und gegen das Zerstörungspotential der Intellektuellen dieser Szene als gesellschaftliche Demonstration des Ensembles der Zeit und neuer Ästhetik, wo der Regisseur wie in den Filmen sich als Autor zeigte.
Aber nicht wie im Film, der Kunst dieses Jahrhunderts, und hier kurz zur Autorenblüte gekommen, gab es auf dem Theater Textpartituren, denen zu dienen war, so daß alles, was auf diesem Theater der alten Partituren
geschieht, sich daran messen lassen mußte, wie sehr dieses Theater noch ein schöpferisches ist, oder der Text müßte wie zum ersten Mal gespielt werden, da seitdem keine wesentlich neuen Texte mehr hinzukommen, indem es
sich erfüllt, nur wenn es den alten Partituren dient. Nun mag der Moment gekommen sein, wo die Kräfte des Menschen als Kunst der Persönlichkeit erlahmt sind und wir nur noch mit technischen Hilfsmitteln in Teilen
oder aus dem Kopf in Räumen oder aus alten Schubladen uns nähren. So wäre denn damals der letzte, der als männlicher Darsteller noch fähig war, diese Texte zu stemmen, vergessen, versäumt, verstoßen und ins Aus
getrieben worden. Uns bliebe nur noch als letzte Tat zu erkennen, wie tragisch hier einer zugrunde gegangen, mit der Frage, zu welchen Entwicklungen wir selbst daraus wuchsen, uns nicht zu beugen auf wohl möglichen
anderen Wegen, oder ob alles zu jenem Kunsttod führt, wo gefeierte Normalität eine als "endlich" erreichte Normalität nun zur abgesicherten Rettung wird aus Ideologisierung und entlarvter Utopie als
Kunstersatz. Und ist nicht das Theater aus dem Grunde der alten Texte immer der Mensch allein im Raum, in der Leere des Raums und alles andere nur Maskierung seines Ich ?
23Noch heute hängt das 68er Establishment an den ehemals so mühsam gelernten Lektionen in Feuilleton und Universitäten, während sich die Urheber der damaligen Fährten auf den Bühnen bewegen; Botho
Strauß wird gescholten und verdächtigt , oder ausgeschlossen, Peter Stein hat sich bequem eingerichtet, Peymann überlebt durch ranzige Provokationen am Rande der deutschen Sprache gut genährt, und alle, wenn es gar
nicht mehr weiter geht, werden umgetrieben von Antisemitismusverdächtigungen und Rechtfertigungsaktivitäten im Hexensabbat der moralischen Profilneurosen von ganz gesicherten Pfründen aus. Und man fragt sich, ob sie
nicht schlechte Schüler waren, wenn sie nur das gelernt. Dabei ist alles ganz einfach zu durchschauen, wenn auch als Trauerbild eines gebrochenen Landes. Am Fall der Schaubühne und ihrer noch heute hochgepriesenen
"Homburg"-Inszenierung wird es deutliche Gewissheit. Dieses Theater, damals das Modell der Zeit-Künste, deutete also das preussische Nationaldrama um mit der Elite seiner Kunst in Regie und Ausstattung und
Darstellern (von Lühr bis B.Ganz und Jutta Lampe); und Botho Strauss machte das Programmheft dazu. Wenn wir es heute anschauen, erinnern wir uns, wie alles gut war und schön. Und wir sehen altbekannte Positionen
realisiert. Der gesellschaftlich Kranke, der psychisch Labile als Held. Ohne Fragezeichen. Die historischen Stichworte zu den Namen und Ereignissen werden aus dem Handbuch der DDR zitiert (Volksmassen, der
bourgeoise Kern, reaktionäre Hofclique) und dann Friedrich Engels für die Geschichte (deutsche Misere), Lukacs (Kleist als Inbegriff des preussischen Junkers und Parteigänger der Reaktion), Marx und Mehring, (obwohl bei
Tieck nachlesbar, im Vorwort der Erstausgabe Friedrich II.als Quelle Kleists angegeben). Das war für die Liaison mit den Medien gut: der Pakt mit der Zeit, wofür heute böse bezahlt wird, auf allen Seiten. Es kostete
letzten Endes den Niedergang des Schillertheaters, und dem anderen "Homburg" in der Provinz, in der Nachfolge von Horst Caspar und aus dem Geist des Werner Krauß, das Leben (Zitat Brief J.M.Gorvin). Die
Annäherung Oskar Werners an den Autor ist frappierend, der sogar im Programmheft von 1972 in Berlin als "greisenhafter Knabenkopf" von Zeitgenossen bezeichnet wird. Darf man aber durch solche Vergleiche und
eventuelle Erkenntnis den Traum des Heinrich von Kleist, wie in Berlin so eindringlich suggeriert, durch Raum, Gestalt und Luxus unserer schönheitssüchtigen Gefühle opfern? Jene politische Poesie, die trotz Sentiment
und Aufklärungstüchtigkeit, manchmal in manieristischem Exzess oder überstrapazierter Innigkeit überfordernd, dem Normalfall eines ernüchterten Theaters hinzugewonnen war, wie es nun "endlich" gefunden und für
heute erwünscht ist. Wie anders belehrt uns das Beispiel Oskar Werner, was ein Mensch und ein Text - ernstgenommen - vermag, und schon Max Reinhardt, lesen wir sogar im Programmheft von Berlin 1972, brauchte dazu nur
einen leeren grauen Raum. Da wurde, ferne in der Provinz, auf kärglicher Bühne, aus gebrechlichem Körper nichts verkauft, nichts verraten, war alles unvergleichlich, kein Zurück mehr möglich und nichts austauschbar,
weil niemand wußte, was zu sagen war oder zu tun, damit es gut laufe; alle Weichen waren gestellt. Der Text aber, der da gesprochen wurde, bekam ein finales Bewußtsein, wenn es heißt: Lieber den Tod zu erdulden, der mir
erkannt ist, als jenen Sieg zu suchen, den der Autor als den verderblichsten Feind in uns beschrieb, dem man heute überall und rundum erlegen. So wuchsen diesem Letzten der Bühne Flügel, der so sprechen konnte, weil er
tief geschaut und danach unbeugsam war. Das verlangt diese Kunst, darunter ist sie nichts.. |