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Notizen
Von November 1994
bis Sommer 1995

Prinz von Homburg
Faust-Fragmente
Wienerlieder

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ende November 1994
In der Vorrede zu den "Räubern" schreibt Schiller von den "Vorteilen der Kunstmethode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen, ohne sich in die Schranken des Theaters einzuzäunen". So viele Personen, solch ein Aktions-Stück und doch letztlich die geheimsten Operationen der Seele des Autors, der Darsteller und dies gespiegelt in jedem Zuschauer.

Im ORF-Fernsehen und Radio zur 10.Wiederkehr des Todestages von Oskar Werner viele Sendungen. Überall Einigkeit über den Niedergang am Ende seines Lebens. Ausschnitte aus dem "Homburg", "Faust" (Tonfragmente) und aus den Wiener Liedern im heimatlichen Dialekt, alle aus den letzten Jahren, machen stutzig. Die Sorgfalt läßt vermuten, daß da mehr ist.

Von Oskar Werner wird berichtet, daß er die "Zauberflöte" Mozarts, Stimme für Stimme mit Flöten und Geigen von Anfang bis Ende, vorgesungen unter Freunden, in guter Stimmung. Das war mein Vorschlag für Salzburg: Allein auf der Bühne ein Mensch, in Gestalt einer Frau. Als Welttheater der Musik, parallel zur Live-Übertragung aus dem Festspielhaus mit Orchester und Sängern - oder ohne, selbst alles auf leerer Bühne.
Von Oskar Werner hört man aus seinen letzten Tagen, daß er nach den gesendeten grandiosen Teilen des "Homburg", wie er ihn selbst inszenierte und spielte mit einigen Begleitern, plante, den "Julius Cäsar" und "Faust" (Mephisto  + Faust) zu realisieren, was ihm wegen des bösen Gelächters nach dem "Homburg" verwehrt wurde, bis er einging in den Tod. Von diesem Ende gibt es noch jenen Monolog vor der Kamera, in dem er alle Stimmen seines Theater-Lebens noch einmal vorspielte, von einem, der sich nicht verkaufte, - nach dem Motto: "Ich durfte am Tisch der Götter sitzen".
Noch im Delirium seiner körperlichen Maske blühte das Herz mit heiterster Trauer, leicht und also der unsterblichen Seele Abbild über den Abgründen seines Irrens, in die Größe und Höhe ihres Erscheinens durch das Gelächter der Lemuren um ihn hinaus.

Eine Zeitlang noch wäre das Echo von besonderer Schönheit und dann, leiser werdend, der reine Klageton, wie nie zuvor erreicht vielleicht und nur für Eingeweihte des legendären Gesangs der Schwäne zu hören. Dann aber wäre es vorbei. Wir sollten uns dessen inne werden, daß es ein Leben geben wird ohne Kunst und Kultur, wie wir sie kannten, eine Kunst zunächst aus den Göttern, dann aus uns bis zum Verlöschen, in einigen Scherben vielleicht noch der Technik eine Zeitlang gehalten und dann auch dort versiegend und vorbei.

Wichtig ist nur, daß etwas entsteht wie sonst nicht. Und das in der Überlegung des Gedankens, wie sehr das Genie der Empfänglichkeit darin besteht, den Ausdruck seiner Existenz zu provozieren, und nicht im Anbieten als Pendant zur Betriebsvokabel des Führens, sondern im Sinne eines höchsten Seelenranges stiller Vollendung sich zu erheben, wo Gestalt, Vernunft und Intuition sich entwickeln im Raum und zu einem Organsimus und ununterscheidbar ist, was durch wen und warum geschieht, was als Ganzes erst wirkt und anders als alles andere, das diese letzte und tiefe Einheit nicht will oder zu wollen vermag, aus der alles entsteht und ist: Wie sie endlich zu erreichen wäre, aber zu dem Preis, der alles in Frage stellt und deshalb nicht zu ertragen ist, weil es nicht sein darf, von allen Seiten, mit allen Mitteln nicht gewollt.

 

Oskar Werner Maerchen

 

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Prinz von Homburg von Oskar Werner 1983.
8.Dezember. Nach  Anfragen bei den Sendern in Wien, mir Auskunft über Adressen von Oskar Werner-Vertrauten zu geben, kommt wirklich eine Kassette von einer vollständigen Dokumentation des "Prinzen von Homburg" aus dem Jahre 1983 in der Wachau ins Haus. Durch eigene Initiative Oskar Werners hergestellt, mit drei Kameras ausgenommen, sorgfältig geschnitten, durch Musik ergänzt und mit Pferdeaufnahmen zwischen den Szenen interpretiert. Produktion Oskar Werner.
Viele Wochen später dann bestätigt sich nach und nach, daß, auch die "Wiener Lieder" als Platte existierten und der "Faust" in einer Länge von 50 Minuten privat aufgenommen wurde. Als Probe.

Und waren nicht gerade die letzten Werke von Tizian mit den verwischten Farben nach der Kunst des bunten Lebens oder Goyas "Dunkle Zimmer" nach den im Gold der Farben schmelzenden Bildern des Hofes und Beethovens letzte Quartette als Dankes-Hymne an die Gottheit wie Mozarts "Requiem" vor dem Tode uns soviel lieber - und auch eindrücklicher der späte Kirchner oder Dix nach dem Getriebe in gesellschaftlicher Exotik des lauten Ruhms, oder Rodins späte Zeichnungen von nackten Frauen, ungelenk und wie für sich selbst gemacht und so auch geborgen, sind sie nicht mehr als alle Figuren der Liebe aus seiner großen Zeit ? Oder ist der alte Tolstoi, im nachlässigen Stil seines Alters, uns nicht mehr wert trotz allen Hochmuts der Selbst- und Kunstverweigerung ?
War nicht die Gestalt des umnachteten Hölderlin mit seinen naiven Tönen den heutigen Musikern mehr Kompositionen wert als jene seiner Hoch-Zeit ? Und war nicht Nietzsche kurz vor seinem Zusammenbruch der luzideste Abseitige seiner Zeit ? Und kam nicht Thomas Bernhard kurz vor seinem Tode von Spanien zurück nach Gmunden in Österreich, die Heimat preisend wie nach langen Ausflügen in den Pakt seines Lebens mit der Zeit so manches Mal,  indem er, auch die einfachen Verse seiner Frühzeit noch einmal aufnehmend,  nun akzeptieren konnte und sie wieder drucken ließ? Und war  nicht Camille Claudel zuletzt sich in ihrem Wahnsinn noch näher, auch mit dem Werke ihrer Existenz aus Wahnsinn und Kunst ganz identisch?
Wir sind bereit, das so zu verstehen, vielleicht uns selbst noch als Verhinderte unseres uns selbst vollendenden Abtritts, aber wie grausam verkannte man - wieder zu Lebzeiten - den unvergleichlichen Auftritt und das Ende unseres größten Darstellers Oskar Werner und damit die Kunst, eines durch falschen Luxus der Eitelkeiten verluderten Gewerbes, und ihre Möglichkeiten gerade heute - im Sterben der Kultur- und die uns möglichen Höhen.
Aus dem gebrochenen Glanz seiner eigenen Höhe, seiner poetischsten Auftritte im Maskenwesen seiner nun verwüsteten Rollen-Existenz kommen die Texte der großen Autoren wie Zitate des todesnahen Bruders in und durch sein eigenes Ich, zu dem er nun wurde, innig, zu untrennbarer Einheit aus Leben und Kunst endlich geworden, was sonst unerreicht und unerlaubt ist in der Kunst, von deren Wahrheit man gewohnt ist zu sprechen als "bloßem Theater". Noch hören wir das Gelächter jener Kampfhunde der Seele und noch erinnern wir uns seines gebrochenen Herzens, an dem er wenige Zeit darauf starb.
Und nun kam das Band mir vor Augen und Ohren, das letzte des "Homburg", und, wie immer geahnt, höre und sehe ich von jenem todesverängstigten Wesen seinen letzten Hymnus, - wie nie zuvor - Klagelied und Lebenshymnus, des Leidens letzten Gesang aus männlichstem Munde, wie man es gar nicht mehr für möglich erachtet hätte. Und endlich stimmt jenes "welch Heldenherz hast Du geknickt" und "Was ist Menschengröße, Menschenruhm ?"
Endlich kam er, den Betrieb verweigernd und verhöhnend, noch einmal unter sie.  Der sich sonst auch in den Rollen versteckende Held in unheldischer Zeit legte noch einmal sein Mimendasein in fremden und verkommenen Luxuswelten der Theater ab und spielte noch einmal die Rolle seines Lebens, die die seines Todes sein sollte, in der er dem Text neue Erkenntnis abgewann, und das radikal - ohne Spiel und Maske. Aber der Preis war hoch, der höchste, den er - unerlöst und schon jenseits - zahlte. Es war die letzte Kampfansage des Weltstars an die Zeit, und alle um ihn wurden zu Puppen seines monologischen Endes. Zu blind waren alle, um zu sehen, was hier geschah und nicht nur als Endfassung des eigenen Ichs und als Modell unvergleichlicher Darstellungs-Intensität wie aus dem Jenseits, sondern als Tragödie unseres Selbst und dieser Kultur heute und des früh abgetretenen Dichters auch. Er war in allem zu sich gekommen auf einer ganz einfachen Bretter-Bühne in der Provinz ohne Licht und Ästhetik der Zeit. War es nicht nur von innerer Logik, daß der geplante "Faust" als Monolog, wie später in Teilen bei Strehler, nicht mehr folgte, so bedauerlich auch immer und tragisch das sein mag, besonders wenn man die kläglichen Stottereien heute sieht um uns, auf immer verloren als Bühnenereignis und Theater unseres Geistes. Und die "Zauberflöte", die er, alle Rollen vereinend, zusammen mit der wesentlichen Musiklinie vorzutragen wußte, wurde nicht festgehalten und nicht der "Hamlet", den er als Monolog mit Statisten sich dachte. Vorbei. Wo aber sind die, die dafür bezahlt werden, solche Dinge zu ermöglichen, die Liebenden, wo ?  
 

 

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Nun auch den "Homburg" der Schaubühne von 1972 dazu geholt. Eben noch hochgepriesen als Meilenstein der Theatergeschichte Westdeutschlands. Von derselben Stimme, die Oskar Werner gerade eben wieder wegen seines Endes zur Verantwortung gezogen.
Seit dieser " Homburg" des Oskar Werner, 10 Jahre nach dem großen "Debakel", nun auf dem Tisch liegt, wird deutlich, was alles falsch ist am Theater der letzten Jahre und Jahrzehnte, und worauf es ankommt. Und wir sehen es an einem  traditionell versuchten Muster, das  den Text auf einer Bühne realisiert, und mit den vorgeschriebenen Schauspielern als Figuren des Textes - hier wie dort. Und wenn wir vergleichen mit der anderen "Homburg"-Aufführung der Berliner Schaubühne auf Band, hochgerühmt als Produkt der Zeit, also anerkannt aus gutem Hause mit den ersten Leuten jener aufgeklärten Epoche, mit Jung und Alt, wenn wir also vergleichen den Luxus, die Technik, das Handwerk, alles vom Besten, die Regie, das Bild des Raums und die Bildung des Gemachten, dann sehen wir und hören: Wohlstandstheater im westlichen Komfort seiner Verdauungsprobleme

        Zwei Lesarten gibt es für Kleists letztes,
        schwindelerregend seltsames Stück. Die eine ist
        romantisch: das Schauspiel zeigte den Triumph
        des wahren Gefühls über die starre Staatsräson.
         Die andere Lesart ist bitter: Erst mit gründlich
        gebrochenem Rückgrat und Herzen ist der arme,
        irre Prinz tauglich geworden für die
        Stahlgewitter von Ehe und Krieg. Klügere
        Aufführungen (wie die allerklügste von Peter
        Stein und Botho Strauß, Schaubühne 1972)
        haben versucht, das nachtblaue Liebesmärchen
        und das preußische Folterstück
        zusammenzudenken.
                                    (siehe
        "Zeit" vom 13.Oktober 1995)

Wieviel weniger am Text und am Autor das wohl war als jene ungelenke Veranstaltung des Oskar Werner im Einheitslicht. Die wie Statisten herumstehenden Darsteller um den letzten Helden einer gerade noch und mit Recht untergehenden Epoche, nun auf den Brettern auch, die einmal die Welt bedeuteten, aber mit ihm die Kunst auch, deren Herz dort schlug, wo sie etwas möglich machte, worauf es ankam, und in ihm dann auch das eigene Ich. Und so stand im gebrochenen, schon sichtbar zerstörten Abbilde eines Menschen und mit einer Stimme ohne den alten Schmelz des Wortes, wenn er es weckt, wenn er es zum Lächeln einer Bewegung werden läßt, noch einmal, ohne Zurück, diese unbestechliche Unerbittlichkeit des letzten Solitärs der alten Bühnen. Ohne Regiemaschine, unbeschnitten, wenn auch unerlöst, als monologische Erscheinung, verlacht und beschimpft und so gar nicht erkannt von denen, die dafür da gewesen wären. Das Beispiel eines großen Scheiterns, wo der Schritt zur Totalität des einsamen Ichs nicht mehr gelingen konnte ohne Anwendung von gerade diesem alten behindernden System. Einer unter anderen sein zu müssen, obwohl dieses eigene Ich schon so weit entrückt war. So ist auch dies nur als Ich-Darstellung mit begleitenden Figuren verständlich, die aus dem Räderwerk des Ganzen ihre Spur findet und zieht wie zwischen Realität und Traum und Leben und Tod, aufgeweckt immer zum erhellenden Stichwort tastender Existenz und wieder versinkend wie in träumenden Schlaf der wie von ferne vorbeiredenden Puppen anderer Figuren, Geschehnisse und sich zuspitzender oder auflösender Konstellationen des eigenen Wollens. Schon sehen wir das Taumeln des Autors im nahenden Ende seines Darstellers und hören seinen hymnischen Aufschrei im Sich-Klammern an das Leben, das nicht mehr zu halten war, so daß er am Ende den Kranz aus der Hand der geliebten Frau wegreißt, als sei alles ein Traum nur, was sonst genannt wird und erkannt werden muss. Ohne Rettung und Realität als die des Theaters. Aber dann welche! Sicher jenseits jener von heute.

 

4

Kunst, die kein Risiko birgt, ist keine. Wenn wir die Kunst von Kleist bis Kafka, von Hölderlin bis van Gogh und Oskar Werner betrachten, wissen wir, was das heißt. Ohne durch den "Hitler in uns" gegangen zu sein, werden wir keine Zukunft haben. Und diese Zukunft wird nicht sein, ohne zu sehen, welche Vergangenheit dahinter steht. Wir waren bereit, alle besten Insignien der Zeit, einer, wie immer, für die Betroffenen unvergleichlichen, aufzunehmen und zu benutzen, auch die der Leiden. Warum nicht Philosophie, Poesie, Film und Kunst, Architektur als Ausdruck der äußersten Seelenbewegungen vom Abgrund bis zur Höhe und sei es, um zu erschrecken vor uns und vor der der Erkenntnis teuersten Trauer, wenn es der Untergang wäre.? Japan, ohne diesen Makel, wählte den erfolgreichen Weg. Wollen wir besserwissend belehren oder stille lernen, auch vom Besiegten der anderen Welt ? Auch Richter können verspießern, besonders in der Kunst, wo sie Geschäfte der Politik betreibt im verachteten Zerstörungsapparat, hochsubventioniert, bis dann sogar die erwünschten Wähler es nicht mehr ertragen, wenn Lügen und Luxus sich beißen.

"Schmutzkonkurrenten" und "Betriebsarrangeure" nannte Kortner die anderen um sich. Mit gutem Grund. Wer das heute sagt über die gleichen Leute des Betriebs und des Schmutzes um uns, von Wien, Salzburg bis

Oskar Werner Sonnenkranz

Berlin, mit nur wechselnden Namen und Generationen, und aus gutem Grunde, wird sofort als Antisemit geprügelt, denn sie haben inzwischen gelernt, waren eifrige Schüler der Lektionen, wie man sich absichere durch ein Netz von allen Seiten, mit immer den richtigen Worten zur rechten Zeit, unentwirrbar; und es sind gerade die Verdächtigsten, was correctness betrifft und Konsensus schafft. Früher nannte man sie Philister, dann Spießer oder "Etablierte" und Veteranen des letzten Krieges jetzt von '68. Nur - wer darf es jetzt wagen, auch nur zu fragen, woraus das heute sich speist und nährt, denn da wird es kompliziert. Das alles ist nicht als rassisch und nicht als ideologisch und nicht als national nur zu bezeichnen.

Unter den Hauptaxiomen der Nachkriegszeit in Deutschland gelten die Unvergleichlichkeit der Leiden, die während des Krieges den Opfern der Deutschen zugefügt wurden und gilt das Nie-Vergessen als höchste Tugend. Ein Blick in das Fernsehprogramm zeigt täglich Beispiele dafür und warum. Aber Technik und freie Programmwahl machen es jedem Kind möglich mit Knopfdruck, die noch immer nicht versiegten Tränen von Auschwitz, oft auf mehreren Kanälen in Varianten gleichzeitig, wegzudrücken gegen Reklame für unsere heutige Welt

 

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Wenn hier aus der Erfahrung einer zehnjährigen Bilanz als Gast am Theater in diesem Land und durchaus auch auf eigener Spur im verwandten Film und mit Kenntnis  von deren Geschichte aus den Schulen und anderen Ländern dies Theater und seine Stellung in der Welt und Geschichte vor Gericht stände, was bliebe da übrig seit 1945 ?

Da wären erst einmal Brecht und sein Ensemble: Als Verdienst auch des sonst mit Recht ungeliebten Regimes im Osten und mit dem Tribut, den er leisten mußte wie einst der Bayreuther, daß das Werk auf die Bühne käme.
Und da ist Kortner ohne eigenes Haus, wie er vom Darsteller zum wichtigsten Theatermann wurde im Westen und zum Alters-Regisseur einer alten Kultur.
Als Dramatiker wären da Dürrenmatt und Thomas Bernhard zu nennen, trotz des Letzteren Pakt mit der Zeit, woran wohl zuletzt er zugrunde ging, zwischen hochgespannter Anklage und Pakt mit dem kleinwüchsigem Alltag zerrieben sowohl der Theaterpraxis als auch der selbstgestellten Polemik voll und aller Verletzungen aus eigener Natur.
Die "Schaubühne" wird da stehen müssen als Stein-Familie und Spiegel des Zeitgeists von allem, was mit dem Jahr '68 zu tun hat und mit dem Sieg des Regietheaters. Hier aus akademischen Dramaturgien noch, aber in der Praxis von aufklärerischer Kälte genährt, mit politisierendem Machtanspruch des ideologischen Pakts eben mit der Zeit und deren Medien als Vervielfältigungsinstrument allgemeinen Konsenses bis in das Nein auf deren Titelseiten und internationalen Preislisten.
Die schönsten Programmhefte aber kamen aus Kenntnis und Leidenschaft von dort, wie alle Vorbereitungen sich hier gründeten in profunder Dramaturgie, worin sich dieses Ensemble dann unterschied von jenem Pendant des künstlerischen Zeitgeistes mit Namen Fassbinder als Selbstzerstörungsorgie eines nicht mehr ausgehaltenen Ausverkaufs jener Gesetze, die zusammenhalten, wenn alles fällt. Nach dem Fallen der bisherigen Ideologien ohne den Dompteur der manieristischenen Ästhetik kunsthistorischer Zitate gelten herumirrende Marktwertstrategie dort und hier kalte Pracht als "Gefühlsepilepsien"(Kortner) gerade da, wo einmal analytische Kunst begann oder als solche gemeint war und in einem Fall auch in Strenge durchlief.
Aber wenn von Theater gesprochen wird und von denen, die die Texte lieferten, und von Regie oder auch Ensemble-Leistung (Brecht und Stein), so wird auch von den Menschen gesprochen werden müssen und dürfen, die diese Zeit hervorbrachte, wenn sie sich auch oft gegen diese Zeit behaupten mußten, wie auch immer äußerlich durchaus geehrt und international genannt. Von vielen Personen und besonders an dieser Stelle wird man da einen Namen nennen müssen. Und der wäre Oskar Werner, unbeugsam und unbestechlich, der mit keinem paktierte und so in die Geschichte einging, daß er, ohne sich zu verraten und ohne etwas zu verkaufen, jenseits von allem Masken- und Mimentheater immer mehr zu jener Existenz wurde, mit der er am Ende zahlte.

 

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Oskar Werners Lebensentscheidung gerade als Zeichen seines Charakters erreichte im letzten Auftritt seines "Homburg" Brechtsche Nähe in der Kargheit des gewählten Ortes und des Lichts und in einer neuen Reinheit aus Askese und Absicht. Diese Gestalt Kleists - den "Homburg" - als altgewordenen, moribunden Jüngling zu wagen, das Ganze in die Höhe eines Todes-Hymnus zu rücken, das hätte dem Meister aus Berlin-Ost gefallen können, der seinen Mephisto als wassertragenden Büttel sah und Faust als intellektuellen Täter des Verrats.

Fortsetzung folgt

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