Eine Entdeckung Ende 1994, zehn Jahre nach dem Tod Oskar Werners, kam mir das Videoband seines letzten Auftritts in einer Bühnenrolle auf den Tisch und zwar als "Prinz von
Homburg", abseits, aus eigener Regie und Produktion im Jahre 1983, ein Jahr vor seinem Tod, aufgenommen auf Video mit eigenem Geld. Diese Entdeckung führte zu reflektierender Selbstbefragung eigener Herkunft und
zur Theater- und Kunstproblematik unserer Generation. Dies umso mehr, als dann das Videoband der Schaubühne mit dem vielgenannten "Homburg" des Jahres 1973 mit Bruno Ganz von P.Stein zum Vergleich vorlag.
Weitere Forschungen nach den Stationen und Gründen des Rückzugs dieses als Genie beschriebenen Theatermenschen nach dem Kriege führten zu dem damals letzten Auftritt in Salzburg 1970 ("Hamlet")in eigener
Regie. Das war dreizehn Jahre vor jenem Homburg, ein Jahr vor dem Tode, als er beschloss, nicht mehr aufzutreten und abseits vom Betrieb zu leben wie Glenn Gould, F. Gulda oft oder Carlos Kleiber immer wieder. Das
musikalische Timbre seiner Stimme, dies unvergleichliche und vielverehrte Nachfedern der Worte und der weiche Anschlag der Gedanken war einer brüchigen Herbheit gewichen und nun einer anderen Wahrheit verpflichtet.
Gerade beschäftigt mit Notizen zu einem zweiten Teil des Essays mit dem Titel "Der verlorene Auftrag", aus Anlass der geplanten Veröffentlichung zum "Hölderlin"-Projekt, über monologische Strukturen
und die Situation des Theaters nach Schliessung des Berliner Schiller-Theaters, der größten Sprechbühne in Deutschland heute, erschienen im Oktober 1994 also diese Beiträge zum zehnten Todestag Oskar Werners,
verschiedene Sendungen mit überraschenden Tönen und Bildern im österreichischen Fernsehen, auch Ausschnitte aus dem "Prinzen von Homburg" und "Faust" (Töne), die erstaunten. Eben noch selbst an einer
Arbeit mit "Faust"- und "Homburg"-Texten (in "Ein Traum - was sonst ?"), war mir sofort klar, diesen "Faust", existentiell wie da von Oskar Werner, nur im Ton, als Versuch und in
Fragmenten privat aufgenommen, wird es nicht mehr geben (siehe Marthaler mit 12 Gretchen; E.Schleef ohne Gretchen, D.Dorn und Quadflieg und Minetti oder Steins Ankündigungen nach dem "Homburg" 1972 und alles
andere zuletzt). Und dieser "Homburg" sollte mich nun die nächsten Monate noch beschäftigen als Beispiel der Verluste. Man hörte aus seinen "Wiener Liedern" von diesem als "Hamlet"
und "Tasso" berühmten Mann Töne, die das Herz berührten wie weniges, und das nicht nur weil alles deutlich unter dem Zeichen des Abschieds und Todes stand, denn alle diese eigenen Aufnahmen gehören zu den
Äusserungen der letzten Jahre Oskar Werners, der sich also seit 1970, seit dem letzten "Hamlet" in Salzburg zurückgezogen hatte. Die nähere Beschäftigung, nach und nach, mit den allmählich eintreffenden
vollständigen Dokumenten der Bänder und Kritiken von damals und erst jüngst wieder zum 10. Jahrestag eben dieses Todes bestätigte und bewies eine erstaunliche Diskrepanz zwischen öffentlichem Beifall, höhnender
Ablehnung in den Zeitungen und erstaunlichen Zeugnissen dieser fast verschollenen Persönlichkeit der Darstellungskunst nach dem Kriege. Das ließ sich prüfen, analysieren, beweisen, und die daraus resultierende
Erkenntnis war die einer grausamen ästhetischen Revolution im Bereiche der Kunst in Zusammenhang mit einem Paradigmenwechsel um 1968, als das Regie-Theater aufkam. Daß es hier um einen der Großen aus dem Erbe von Werner
Krauss geht und auf der anderen Seite um die uns bekannten Namen Stein, Zadek, Peymann, Neuenfels, begleitet von den Zeitungen wie SZ und FAZ oder Spiegel (Profil - Wien) und FR, macht die Sache umso interessanter.
Langsam, von Notiz zu Notiz, wurden die Motive und Gründe klarer, erschienen die Methoden des ästhetischen und geistigen Mordes ungerechter in der Sache und das Bild des Opfers gebrechlicher, zugleich als Zeichen nicht
nur einer verlorenen Kunst, sondern auch eines ganzen verlorenen Kontinents. Aber auch: Es wird nichts übrigbleiben vom Regietheater und seinen müden wie manierierten Helden im Glanz ihrer nostalgischen Jahre als Pakt
mit den Medien und als Zeichen einer stürmenden, aber leeren und kraftlosen Zeit. Denn was nicht auf den äußersten Gipfeln immer neue Grade zwischen "erlaubt" und "verboten" sucht und hinübergeht
ins Unerreichte, ist nicht Kunst und ist nichts Eigenes der Zeit oder dessen, der da forscht, wo selbst noch im Verlust alles Vorigen der Gewinn auch hier in immer neuer Höhe und Tiefe liegt, aus den Schichten des
Reichtums der Welt, der Natur und des Ichs erfahrbar. Vielerlei Gestalt wäre dort zu finden, wo Wahnsinn ist und Umnachtung, Tod und Ewigkeit, vielerlei Gestalt zu erringen, wo verhindert, verlacht wird. Wo nur nicht
gilt, was Vertun heißt oder Verrat, Erniedrigung, Verdummung oder selbstbeschädigendes Sich-Wälzen in der eigenen Gefährdung. Und sei es in Kindheitsroutine oder Furiennostalgie eines immer neu zu bestehenden
Tragödien-Tons, nur noch zu behaupten auf der äußersten Leidensspur durch den hortus conclusus, in der Isolation von Betrieb und Zeiten sowie ihrer Funktionäre, Agenten und Märkte, wie es hier ausgehalten war bis an die
letzte Grenze. Mit allen Folgen. Der Entschluß reifte, aus diesen Materialien unter anderem auch ein Buch mit Bild-Dokumenten zu machen, das durch die Kinder von Oskar Werner in Wien und Los Angeles verhindert wurde.
Der in der Öffentlichkeit tapfere, aber in der Realität schwache Künstler hatte die Rechtssituation übersehen, als er zuletzt mit finanziellen Opfern und letzter Energie die optischen und akustischen Zeugnisse seiner
letzten Jahre selbst aufnehmen oder festhalten ließ, um sich so der Nachwelt oder gerechteren Zeugen zu übergeben. Denn seine hingekritzelte testamentarische Notiz an die Kinder: "Sollen die Erben sich
streiten", vergaß in ihrer saloppen Freude, daß er sie zwar von diesen geistigen Zeugnissen seiner letzten Jahre ferngehalten, indem er diese wohlweislich anderen und nicht den Händen dieser Kinder übergab, aber
dies geistige Erbe nicht vor deren posthumem Entmündigungsverfahren durch Verbot und nachträglichen bösen Nachruf vor der buchstäblich physischen Vernichtung sicherte. Nach dem Verbot der Bilder und jeglicher Vorführung
der von Oskar Werner noch selbst hergestellten letzten Zeugnisse seiner Existenz und künstlerischen Tätigkeit in den späten Jahren soll die Vorlage der Notizen, wie sie während der Arbeit an diesem geplanten Projekt
entstanden, Einblicke geben in das, was da geplant war und worum es da eigentlich noch geht. Diese öffentlichen Notizen hier, also nicht die persönlichen der Tagebücher anlässlich des Hölderlin gewidmeten Albums, mit
einigen Nachdenklichkeiten nach der Beschäftigung mit Kleists "Homburg" und dem "Faust" nahmen mehr und mehr Beobachtungen zu Oskar Werners letzten Bändern auf mit Entdeckungen zum Umfeld und mit
Überlegungen zu dessen Ehrenrettung. Diese Materialien und Lebensdokumente Oskar Werners, wie seine Häuser, Bücher, Papiere, wurden, ohnmächtig in der Unaufmerksamkeit eines aus der Zeit Gefallenen, vertan, teilweise
auf dem Trödelmarkt. Allein die gerühmten frühen Jahre blieben als Leuchtspur unter Anderen eingeordnet in die Geschichte und wurden zur Trophäe der sich daran labenden Fans und Nachkommen des verirrten Lebens. Aber
die eigentliche Tat kulturpolitischer Verweigerung und kämpferischer Konfrontation mit der ästhetisch kraftlos gewordenen Zeit in der persönlichen Konsequenz des Rückzugs als aktive Haltung, auch in die Folgen traurig
verbissener Delirien der Aggression wird zuletzt nun durch die Verbannung des Vaters von seiten der Kinder als Antwort auf das frühere Verstoßen durch den Vater in den Bereich des rein Pathologischen getrieben und auf
diese Weise zur eigentlichen Tragödie, da sie konform geht mit dem Urteil jener Feinde aus vergangener Zeit, die nun dringend zur Disposition steht. Denn nicht viele gibt es, die so sich gehalten haben gegen die
Verlockungen des Zeitgeistes in den bequemen Epochen des Konsumismus, auch im geistig-ästhetischen Bereich, mit jenen Allwissenheits-Rechthaber-Neurosen im Gefängnis ihres eigenen Zwangs. Viel gäbe es da zu ergründen,
zu deuten und vorzutragen gerade an diesem aufregenden und unbeugsamen Fall des seltenen und hochrangigen Widerstands in unseren Zeiten. Diejenigen, die so frei sind wie nie, so demokratisch wie nie, so vernünftig, so
glücklich, mit so viel Kunst wie nie, von so reichen wie selbstgerechten Menschen wie nie zuvor, sagen dann, er - Oskar Werner - sei selbst schuld, er , der da so sich zurückzog, habe das gebraucht, gewollt, sei durch
Verfolgung selbst Verfolgter dann geworden, ein Kranker, der zu verbieten sei, wie ein Umnachteter einzusperren; und wenn nicht im Leben, dann danach. Wie sonst, wenn nicht unter diesem Zwange, wären die Zeugnisse der
letzten Jahre abgetrotzt, umsonst alles, wenn vernichtet oder verboten . Der Stoff, aus dem man früher Romane machte, Filme, Dramen, immer auch derer, die das dann realisieren. Heute Vorlage lebendiger Existenz in der
kraftvollsten Behauptung unter Scheiternden der Sterblichkeiten unserer Zeit. Und noch in der Auslöschung seiner künstlerischen Erscheinung in den letzten Jahren, eines, der nicht mitmachte, ist Ermunterung, nicht
umsonst gelebt zu haben unter den Selbstgerechten und Satten, wenn Erkenntnis |