Ensemblenachfolge als Ernte der Erziehung nach 45, wie auch immer verinnerlicht als Gewissenszwang oder intellektuell missverstanden, wenn man ausländische Stimmen zu den gleichen
Ergebnissen aus Deutschland dagegenhält. Dagegen hatte die poetische Begeisterungstiefe eines Oskar Werner in Deutschland keine Chance. Das war keine andere Ästhetik, keine Schule und stellte
nichts als Größe einer Darstellungskraft aus einer Haltung dar, die man früher Aura nannte oder Ausstrahlungsfähigkeit, aus der alles ist, was verloren ging und wonach alle suchten, ob früher in Hollywood oder zuvor Max
Reinhardt; auch was wir heute an Brecht und Kortner bewundern, mit denen wir aufwuchsen, und ohne das nichts geschieht, wenn Kleist aufgeführt werden soll. Was im Film, aus dieser Zeit geboren, eine eigene
Kunst wurde, ist auf der Bühne zerstörerisch, weil sie von anderen Ritualen lebt und das Exerzitium braucht, wenn nicht als letzter Versuch das Ich zum Kosmos wird, - als aller Verluste Echo und Abschiedsklage. Wenn
man dies alte Ritual und die Exerzitien des Theaters begrüßt, dann sind eigentlich seine wesentlichen Elemente von Maskenwesen und Mimenspiel nicht verzichtbar, und es ist nicht erlaubt, sie zu ersetzen, zu übertragen
oder anders zu erfüllen, so daß es kein Zurück mehr gibt und kaum eine Zugänglichkeit für die, die nach alten, wie auch immer vertanen oder verlorenen Schulen des Theaters wehmütig oder zerstörend urteilen, es sei denn,
der Sprung würde gewagt in eine ganz andere Existenz der Kunst, wie sie allein fähig wäre, heutiger Not zu entsprechen oder Antwort zu sein.Die neue Erkenntnis aus dem "Prinzen vom Homburg" in
der Oskar Wernerschen Aufführung ist, daß es hier nicht um die Problematik der preussischen Disziplin vordringlich geht und nicht um die so gerne diskutierte Angst vor dem Grab eines preussischen Offiziers, dem Land und
Liebe gleichgültig sind, sehr zum Beifall heutiger Interpreten, wie damals zum Abscheu seiner Zeit. auch geht es nicht um den Traum von Liebe oder dem von einem anderen Preussen, sondern um die Überwindung des Todes
durch Erdulden, so daß die dann mögliche Begnadigung, wenn all die oben genannten Prüfungen bestanden sind, mit der Bekränzung durch die geliebte Frau für seinen Dienst am Land wie ein Traum erscheinen muß. Das wird
hier zur Frage von Leben und Tod, Wirklichkeit und Wahn dieses Darstellers selbst, der vor dieser Frage stehend, nun Leben und Kunst miteinander vereint als höchste Traumerfüllung aller darstellenden Kunst in
ärmster und reinster Form. Aber diese schwerste Prüfung durch Strafe und Anerkennung der Schuld als Ursache aller Erkenntnis trifft gerade da, wo der Held der Schlachten einen Sieg als falschen zugeben
muß, in einer Niederlage, die ihn bis zur Verleugnung der Liebe selbst und seines Vaterlandes führt, um sich zu retten aus dieser Not. Heute wäre das Verzicht auf alle Öffentlichkeit und Isolation des Herzens, was
alles er auf sich zu nehmen bereit ist, und wenn er sein Schicksal annimmt, dann als Urteil und Last. 11Man vergleiche Oskar Werners "Prinz von
Homburg" mit dem der Schaubühne Satz für Satz, Wort um Wort, die Bewegungen, Haltungen und die Inszenierung der Gesichter: Man vergleiche: " O Gottes Welt, o Mutter, ist so schön" oder
"Seit ich mein Grab sah, will ich nichts als leben und frage nicht mehr, ob es rühmlich sei", oder ".....und in dem Kreis herum das Leben jagen, bis es am Abend niedersinkt und stirbt." Oder:
"Du armes Mädchen, weinst...." oder "Schuld liegt bedeutende mir auf der Brust", oder:"Hättest du zwei Flügel, Jungfrau, an den Schultern..." oder "Das Leben nennt der Derwisch eine
Reise - zwar eine Sonne, sagt man, scheint dort auch, ich glaub's, nur schade, daß das Auge modert, das diese Herrlichkeit erblicken soll", oder " Ich will den Tod, der mir erkannt, erdulden... Ich will das
heilige Gesetz des Krieges, das ich verletzt im Angesicht des Heers, durch einen freien Tod verherrlichen!" oder : "Nun, o Unsterblichkeit, bist Du ganz mein...." Man höre und man sehe einmal genau und
alles. Das ist keine Variante, kein Zufall, kein "das eine so" und "das andere so", kein Richtig und Falsch. Und man fragt sich: waren wir alle blind und taub, vergesslich, verrannt
und von der Ungerechtigkeit der Gegenwart geschlagen, doch durch öffentliches Urteil der Zeit befangen, daß niemand einschritt oder auch nur verglich ? 12
Theater nach Oskar Werner. Ohne ihn. Aber das Ende des "Homburg" konnte er in seiner Möglichkeit nicht liefern: "Ein Traum, was sonst ?" diesen Rätselsatz des Ganzen und darüber hinaus hatte er
abgeben müssen an einen Darsteller, der den Kottwitz spielte. Und die Worte danach:"Ins Feld! Ins Feld ! Zur Schlacht! Zum Sieg! Zum Sieg !" hatte er gestrichen, das "In Staub m it allen Feinden
Brandenburgs" partiturgemäss allen überlassen müssen. So war es am Ende doch noch ein unerlöster Abgang. Aber, was ist die Lehre eines solchen Helden des Theaters der Poesie. Ohne Einsatz der Existenz geht es
nicht, bleibt alles bloßes Theater. Hier ging es um den Tod unter Einsatz des Lebens.Wie an anderer Stelle um die Liebe. Auch um Vaterlandsverlust, tief tragisch in der Entwertung erlitten, das ist
Existenzeinsatz, wie der der Naturverluste, die Hybris tragisch erfahren, wo alle Strafe nur von den Göttern anerkannt wird, zu keinem Geschäft der Menschen tauglich. Wer da durchgeht, das trägt, und der Menschen auch
böses Irren ganz erfasst, austrägt, bei dem ist Existenz, die zum Handwerk erst macht, was Kunst wird, wo das Theater beginnen darf, ohne abgeschmackt zu wirken. Das lehrt Oskar Werner, unerbittlich, ohne Zurücknahme,
unvergleichlich darum und nicht zu ersetzen. Dann und darum. Unbeugsam. Ein Mann. Dieses Gewerbes. Das Programmheft der Schaubühne, wie immer belesen und erlesen, quer gestaltet, mit Liebe gemacht und
auf neuestem Stand der Zeit, auch im Geiste Botho Straußscher Bearbeitung des Kleist (!), läßt seltsamerweise die Quelle aus, die nach Tieck Kleist zu seinem Stoff führte, nämlich Friedrich des Zweiten Geschichte
Preussens, und die Frage, ob der Sieger von Fehrbellin nicht eher vor ein Kriegsgericht gehört hätte, was Kleist nun aufnimmt und auf seine Weise vorführt. 13
Es ist nun so, daß wir die alten Werte der Kunst auch schwinden sehen. Die neuen sind noch nicht erkennbar. Die Frage wird immer sein, was die neuen Techniken und Fähigkeiten gebracht haben oder bringen. Nur das wird
gelten für unseren Ewigkeitsanspruch. Die Isolation des Individuums nimmt zu bis zum pathologischen Schmerz bei gleichzeitiger Weltvernetzung aller Informationen und Individuen. Was daraus entsteht, wird dort gesucht
werden müssen, wo die neuen Techniken neue Sensibilitäten erwecken, unseren Erforschungen in Technik und Wissenschaften entsprechend, im Denken, in Fotografie und Film vielleicht. Noch ungeahnte Möglichkeiten sind
offen und es wird sich der Vermarktung zu entziehen wissen, wie die Dinge, die den Königen in den Gräbern gleich beigelegt wurden und nur sich den geladenen Gästen in stillen Stunden auftaten. Aber die
vierhundertjährigen Bäume, die man heute leichtfertig aus Sicherheitsgründen aus den Parks entfernt, damit nicht eventuell ein Mensch in fünfzig Jahren, statt an Herzinfarkt oder auf der Autobahn , durch einen Ast bei
Gewitter gerade dort zu Schaden kommt, diese Bäume wachsen nie mehr nach. Sie haben noch Kleists Zeiten erlebt und sind heute nach 18O Jahren sterbensmatt. Tausend junge Bäume sind nötig, um einen solchen dieses Alters
nur an Nutzen für die Luft zu ersetzen. Dem Auge unersetzlich, fehlt der Halt und Trost vor verschmutztem Himmel. Was noch stehen bleibt, ist beißenden Sonneneinwirkungen von heute schmerzend ausgesetzt und der Winde
nächste Beute. Wer so zugrunde geht und nicht einmal fällt, weiß, daß nichts mehr nachwächst, das ihm gleicht. Nie war ein Darsteller als Mann dem Dichter Kleist so nahe wie dieser. Und das ist ein
letztes Kriterium und einzige Instanz seiner eigenen Größe. Eben dies geschieht durch die Tat des Dichters, des Schriftstellers, der verdichtet. Denn warum hat dieser Prinz versagt ? Nicht
bramarbasierender Haudegen, der die Schlacht gegen die Order gewonnen, und nicht als ein Dummkopf oder Tölpel, sondern als Träumer der Liebe, der so sein Land erhöht und sich durch den Kranz dieses Landes aus der
Frauenhand belohnt weiß, was sonst ? In diesem Sinne ist Oskar Werner ein Dichter, wo andere alle Schriftsteller bleiben. Und was kein Mann mehr heute zu wagen bereit ist oder fähig, ist - wie durch ein Wunder - hier
getan und weiter geführt. 14Und wieder, wenn wir über das Theater, nun jenseits der Unterhaltung, die Kino und Fernsehen besser übernahmen, und von
Belehrungsfunktion befreit, nachdenken, werden wir an diese größte Intimität der Kunst stoßen, aber, einmal dort angekommen, nicht mehr zurück können, ohne uns und diese erkannte Wahrheit zu verraten, jenseits des
Spiels und der Schau und allen Bordell-Charakter von Mimen- und Maskenkrisen hinter uns lassend, auf der Höhe der eigenen Identität, deren Figuren es nun darzustellen gilt. Alle wissen davon, einige aus Zweifeln, auch
an sich selbst, manche kommen nie dahin. Aber für den, der das einmal erkannt hat, dürfte keine Verzweiflung groß genug sein, um noch ein Entweder - Oder zu erlauben zwischen Routine und Farce kläglichen Scheiterns an
sich selbst oder dem Weg, der immer weiter führt, und sei es im großen Verstummen, bis neue Äußerung wieder möglich wird. 15Zehn Stunden habe Werner Krauß,
so erzählte er, damals Max Reinhardt vorgesprochen, am Ende das Vaterunser mit dem Rücken zum Zuschauerraum, so, daß nur jedes achte Wort zu hören war.Das Undarstellbare darstellbar machen: Dem Meister selbst. Es den
Lesestunden entreissen und dem Theater hinzugewinnen, daß es Theater |