10. August 2017, 07:54 Uhr

US-Atomwaffenarsenal

Trumps gefährliche Lügen
Von Marc Pitzke, New York

Donald Trump heizt den Nordkorea-Konflikt an, indem er mit dem US-Atomarsenal prahlt. Doch seine Behauptung, dies sei "mächtiger als je zuvor", ist frei erfunden.

Donald Trump sagt - und twittert - vieles, was faktischer Überprüfung nicht standhält. Man hat sich fast daran gewöhnt, zuckt mit den Schultern, weiß, dass das meiste ja sowieso nur an seine leichtgläubige Basis adressiert ist.

Doch im Atomkonflikt mit Nordkorea können solche Lügen Leben gefährden.

Allen voran diese Lüge: "Meine erste Amtshandlung als Präsident war es, unser Nukleararsenal erneuern und modernisieren zu lassen", tönte der US-Präsident auf Twitter, kurz nach seiner ersten, verbalen Drohung gegen das Regime in Pjöngjang. "Es ist nun viel stärker und mächtiger als je zuvor." Diese Follow-up-Warnung ließ die Spannungen nur noch weiter eskalieren.

Doch nichts an der Behauptung stimmte. Sie war nur Wortsalat, offenbar ebenso frei improvisiert wie Trumps "Feuer und Wut"-Rede zuvor. Was bewies, wie nonchalant er mit dem unvorstellbaren Gedanken eines Nuklearkriegs umgeht - ausgerechnet am 72. Jahrestag des Atombombenangriffs auf Nagasaki.

Wohlgemerkt: Das jahrzehntealte US-Nukleararsenal hat apokalyptische Macht, und selbst Flunkereien über seinen Zustand können eine Krise zur Katastrophe machen. Doch weder hat Trump es modernisieren lassen, noch ist es "viel stärker und mächtiger als je zuvor". Im Gegenteil: Diejenigen, die Amerikas Endzeitwaffen pflegen, scheinen zurzeit gefährlich überfordert.

Atomexperte Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute of International Studies war nicht der Einzige, der Trumps Atom-Tweet "absurd" nannte. "Nirgends kommt dieses Statement der Realität nahe", sagte er der "Washington Post".

In der Tat lässt sich Trumps Provokation Wort für Wort auseinandernehmen

1. Trumps "erste Amtshandlung als Präsident", unmittelbar nach seiner Antrittsrede, hatte nichts mit Atomwaffen zu tun, sondern war ein Dekret, das die Demontage der Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama einleiten sollte. Erlass Nr. 13765 war freilich rein symbolisch: Alle Versuche, Obamacare zu kippen, scheiterten im Kongress.

Auf Nachfrage verwies das Weiße Haus auf ein Memo, das Trump eine Woche später unterzeichnete. Darin wies er das Pentagon an, dafür zu sorgen, dass das Atomarsenal "modern, robust, flexibel, belastbar, bereit und angemessen" sei. Dieser schwammig definierte "Nuclear Posture Review" - Routine für jeden neuen Präsidenten - begann im April und dauert noch mindestens bis Ende dieses Jahres. "An unseren nuklearen Sprengköpfen oder Bomben hat sich nichts verändert, was sie mächtiger machen würde", sagt Todd Harrison, Verteidigungsexperte am Center for Strategic and International Studies, gegenüber "Bloomberg".

2. Der letzte konkrete Anstoß, die US-Atomwaffen aufzumotzen, kam nicht von Trump - sondern von Obama. Der initiierte 2010 eine Modernisierung des betagten Arsenals, die, auf rund 30 Jahre veranschlagt, bis zu eine Billion Dollar kosten soll. Das nicht unumstrittene Programm - das unter anderem die Entwicklung einer neuen Klasse atomgetriebener U-Boote vorsieht - kommt jedoch größtenteils erst ab 2022 zum Tragen.

Einstweilen schrumpft das US-Arsenal an strategischen Atomwaffen (ICBM) sowieso weiter: "Die Größe unserer ICBM-Bestände", bestätigt Harrison, "hat sich verringert." Und zwar dank des letzten, Anfang 2011 verabschiedeten "New Start"-Vertrags, in dem USA und Russland vereinbarten, die Zahl ihrer einsatzfähigen strategischen Atomwaffen auf je 1550 zu reduzieren.

3. Der von Trump behauptete Top-Zustand der US-Atomwaffen lässt sich noch aus einem anderen Grund anzweifeln. Zwar ist das Pentagon für ihre Lagerung und ihren Einsatz zuständig, über das Strategic Command in Nebraska. Doch Entwicklung, Design, Produktion und Tests obliegen dem Energieministerium - eine wesentliche Tatsache, die sowohl Trump wie auch seinem neuen Energieminister Rick Perry zunächst wohl unbekannt war.

Perry, ein Ex-Gouverneur von Texas, hatte im Wahlkampf sogar verkündet, das Energieministerium abschaffen zu wollen. Medienberichten zufolge war er nun schockiert, dass er auch für die Nuklearwaffen verantwortlich ist: Zwei Drittel seines 30-Milliarden-Dollar-Haushalts entfallen auf deren Schutz und Instandhaltung - darunter die konstante Überwachung des Uran- und Plutonium-Materials, damit es nicht in falsche Hände gerät.

Perrys Vorgänger Ernest Moniz, ein Atomphysiker, hatte sich nach Trumps Wahl angeboten, die komplexe Materie ordentlich zu übergeben. Doch die neue Regierung war daran nicht interessiert und feuerte einen Großteil der Belegschaft. Bis heute sind viele Ministeriumsstellen verwaist - darunter in der Atomwaffen-Abteilung.

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