Aktuell  
OST-ALTEIGENTÜMER TANNEBERGER
" Bekommen wir Recht, kippt die Bodenreform"
Nach dem Neubauern-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg hoffen nun auch die Alteigentümer auf eine angemessene Entschädigung für ihre enteigneten Ländereien. Dieter Tanneberger, Chef des Bundesverbands Deutscher Landwirte, sagt eine weitere Niederlage für die deutsche Justiz voraus.
Bauern-Funktionär Dieter Tanneberger: Unrecht wird korrigiertSPIEGEL ONLINE: Sie kämpfen seit 10 Jahren für eine Entschädigung der Alteigentümer, die im Zuge der DDR-Bodenreform ihr Land an die "Neubauern" abtreten mussten. Nächste Woche entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Aufnahme eines Verfahrens. Rechnen Sie mit einem Erfolg?
Dieter Tanneberger: Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass das Unrecht, das den Alteigentümern widerfahren ist, korrigiert wird. Nach dem die deutsche Justiz gestern eine Niederlage einstecken musste, als die entschädigungslose Enteignung von Neubauern durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als nicht rechtens erklärt wurde, kommt es nächste Woche zum zweiten Desaster für die deutsche Justiz. Damit rechnet auch der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof im vertraulichen Kreis.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Konsequenzen, wenn die Kläger Recht bekommen?
Tanneberger: Dann kippt die Bodenreform. Für die Architekten des Einigungsvertrags wäre das eine politische Katastrophe. Wolfgang Schäuble wäre raus aus dem Rennen um die Kandidatur zum Bundespräsidenten. Er hat sich über die Forderungen, die Opfer der Bodenreform zu entschädigen, in seinem Buch "Der Vertrag" ein wenig lustig gemacht. Mit seiner ignoranten Haltung den Alteigentümern gegenüber hat er damals Anfang der 90er Jahre die Atmosphäre vergiftet. Seine Aussagen haben die CDU bei den bürgerlichen Schichten im Osten Stimmen gekostet.
SPIEGEL ONLINE: Schäuble und der damalige Kanzler Helmut Kohl rechtfertigten die Anerkennung des Status Quo der Besitzverhältnisse in der DDR mit dem Argument, dass sei eine Bedingung Gorbatschows gewesen, der Einheit zuzustimmen.
DPA
Bodenreformland: Haben Alteigentümer Anspruch auf Entschädigung?Tanneberger: Gorbatschow hat 1998 in Berlin gesprochen und diese Behauptung von Kohl und Schäuble zurückgewiesen. Trotzdem hält bis heute auch die CDU-Chefin Angela Merkel an dieser Interpretation fest. Fakt ist, Kohl wollte die Grundstücke, deren Wert 1990 auf 600 Milliarden Deutsche Mark geschätzt wurde, zur Finanzierung der deutschen Einheit heranziehen. Die Schätzungen waren allerdings zu hoch.
SPIEGEL ONLINE: Hat Ihre Partei, die FDP, die Linie von Kohl und Schäuble damals nicht mitgetragen?
Tanneberger: Doch, aber ich war nie mit der Position meiner Partei einverstanden. Edzard Schmidt-Jortzig, unser Justizminister von 1996 bis 1998 räumt ein, dass in der Vergangenheit viele Fehler gemacht worden sind.
SPIEGEL ONLINE: 1994 hat der Bundestag eine moderate Entschädigung der Alteigentümer beschlossen, deren Auszahlung dieses Jahr beginnen sollte. Sorgt die Klage nicht unnötig für neuen Ärger?
Tanneberger: Moderat war diese geplante Entschädigung in ihrer Höhe nicht. Die Summe liegt zwischen 1,5 und 2,5 Milliarden Euro, also unter 5 Prozent des Verkehrswertes von 1994. Da Eichels Kassen leer sind, soll jetzt nur ein Teil der Gelder verteilt werden - per Losverfahren.
SPIEGEL ONLINE: Was fordern Sie vor Gericht?
Tanneberger: Der Verband Deutscher Landwirte fordert die Rückgabe des Grund und Bodens, sofern das Land nicht aufgesiedelt ist. Die Alteigentümer wollen ja kein neues Unrecht schaffen. Die Rückgabe würde einen Aufschwung Ost bewirken. Falls die Rückgabe nicht möglich ist, fordern wir eine angemessene Entschädigung. Es handelt sich um 3,3 Millionen Hektar Grund und Boden. Ich schätze die Gesamtsumme der Entschädigungen auf etwa 60 Milliarden Euro.
Das Interview führte Alexander Bürgin


DRUCKVERSION
ARTIKEL VERSENDEN
LESERBRIEF SCHREIBEN© SPIEGEL ONLINE 2004